Die Pubertät stellt eine normale, notwendige, aber stürmische Zeit des Übergangs von der Kindheit ins Erwachsenenalter dar. Jugendliche müssen nun mit einem sich veränderten Körper, ihrer Sexualität und er Suche nach ihrer Identität klarkommen, ihren Platz in der Welt finden und einen Übergang von der Familie in die große Welt der Erwachsenen meistern.
Auslöser sind starke hormonelle Einwirkungen und massive Veränderungen in der neuronalen Vernetzung im Gehirn. Zu keiner Zeit verändert sich der Körper so stark wie in der Pubertät. Jugendliche gehen nun neue Wege, was oft mit Angst und Unsicherheit verbunden ist. Ihr Verhalten ist oft widersprüchlich, sprunghaft und schwankend.
Eltern haben oft den Eindruck, nichts richtig machen zu können. Doch gerade in dieser Zeit brauchen die Jugendlichen die emotionale Begleitung durch die Eltern dringend. Die Erwachsenen werden nun mit der Herausforderungen konfrontiert, ihre Kids loszulassen, ohne sich emotional von ihnen zu lösen.
Ein paar Orientierungspunkte fürs Navigieren durch diese stürmischen Zeiten möchte ich mit diesem Text vermitteln. Ich beziehe mich dabei auch auf Erkenntnisse der Psychoanalytikerin Gertraud Diem-Wille: Sie hat sie in ihrem Buch „Pubertät. Die innere Welt der Adoleszenten und ihrer Eltern“ festgehalten.
Doch zunächst müssen wir verstehen lernen, mit welchen Herausforderungen junge Leute klarkommen müssen.
Eine Fahrt ins Unbekannte auf der Hochschaubahn – Herausforderungen für die Kids
Beim Mädchen beginnt die Pubertät mit der ersten Regel im Alter von 9 bis 11 Jahren. Beim Knaben beginnt diese Entwicklung mit der Produktion fruchtbarer Spermien im Alter von 11 bis 12 Jahren. Sie ist für Mädchen und Burschen im Alter von 16 bis 17 Jahren abgeschlossen.
Die mentalen und emotionalen Reaktionen auf die körperlichen Veränderungen der Pubertät werden mit dem Begriff „Adoleszenz“ bezeichnet. Die WHO definiert diese Lebensperiode zwischen 10 und 20 Jahren.
Die körperliche Veränderung bewirkt eine Veränderung im seelischen Gleichgewicht. Die frühe Sehnsucht des Kindes richtet sich nach dem Wunsch, geliebt, umsorgt und ernährt zu werden.
Dem gegenüber steht das Bestreben, selbstständig zu werden, sich von den Eltern weg, fort in die Welt hinein zu bewegen. In den Jahren vor der Pubertät ist bei psychisch gesunden Kindern eine Balance zwischen diesen Bestrebungen entwickelt worden.
Die Störung dieses Gleichgewichts durch die körperlichen und psychischen Veränderungen äußert sich in der Pubertät durch starke Stimmungsschwankungen und unruhiges Verhalten. Die Jugendlichen wissen meist selbst nicht, warum sie sich nun anders verhalten, es „passiert“ ihnen.
Kinder, die fröhlich und zutraulich waren, werden verschlossen. Ein lernfreudiges Kind kann die Schule ablehnen, während andere von krankhaftem Ehrgeiz und Lerneifer ergriffen werden.
Die körperlichen Veränderungen unterliegen weder dem Willen noch der Kontrolle. Sie brechen über den Jugendlichen herein und lösen heftige Gefühle aus. Der vertraute Körper wird fremd.
Nicht der Jugendliche erlebt sich als schwierig, sondern die Eltern, die von ihm verlangen, beispielsweise im Haushalt mitzuhelfen, sind es. Er ist nicht in der Lage, über sein Verhalten nachzudenken. Wie in der frühen Kindheit betrachtet er sich als Mittelpunkt der Welt. Nur widerwillig befolgt er Regeln und Gebote der Eltern. Er will sich seine eigenen Regeln machen.
Die Kritik an den Eltern und Erwachsenen ist von einer Idealisierung und Überschätzung der eigenen Möglichkeiten getragen. Alles kann neu gedacht werden. Nichts ist selbstverständlich. Darin liegt das innovative Potential. Es gibt neue Perspektiven, weil alles infrage gestellt wird.
Die Suche nach der eigenen Identität wirft neue Fragen auf. Die Möglichkeit, nun selbst Kinder in die Welt setzen zu können, sexuelle Begehren, auch auf das eigene Geschlecht gerichtet, Unsicherheit was die eigene Attraktivität und die Wirkung auf andere betrifft, gehen Hand in Hand mit der Frage, wie ich Jugendliche als „richtiger“ Mann oder Frau finden und erfüllen kann. Darüber hinaus gibt es eine wachsende Zahl an Jugendlichen, die sich nicht im Mann-Frau-Geschlechteruniversum verortet, erleben. Immer mehr kindliche und jugendliche Transpersonen oder non-binäre junge Leute müssen ihren jeweils eigenen Weg finden.
Gedanken an den Tod, an die Angst oder die Sehnsucht nach dem Tod sind häufig. Die Gruppe der Gleichaltrigen übernimmt oft die Funktion eines elterlichen Schutzes. Deshalb ist es sehr bedrohlich, von der Gruppe ausgeschlossen zu werden. Ein Rückzug, oder ein sich nicht einlassen auf engere Beziehungen stellen einen Schutz vor dieser Bedrohung dar.
Hilfreicher Rückzug ins eigene Zimmer
Der Rückzug und das Bedürfnis, Zeit alleine zu verbringen, hilft Jugendliche oft, wieder in Balance zu kommen. Alleine in ihrem Zimmer bei geschlossenen Türen, fühlen sie sich zunächst oft einsam, traurig und schwach. Doch bald bessert sich die Stimmung. Und sind nun wieder bereit, die Freuden und Leiden des Alltags zu meistern. Im Gegensatz dazu steht das Gefühl der Einsamkeit. Es meint ein inneres Gefühl, nicht dazu zu gehören.
Wie kann es Eltern gelingen, Krisenhafte Konflikte bewältigen zu lernen?
Eltern wünschen sich Kinder, die sich zu erwachsenen, lebenstüchtigen Menschen entwickeln. Doch auf dem Weg dorthin findet eine für Eltern schmerzliche Umkehr und Neuorientierung statt: Von den bewunderten Eltern, denen das Kind nacheifern will, werden sie jetzt zu Personen, die provoziert, kritisiert und abgewertet werden – nicht als geplante Aktionen – „es passiert“ einfach. Jugendliche sind oft selbst überrascht, schuldbewusst und fühlen sich überschwemmt.
Gelingt es Eltern das auszuhalten und „mitzuspielen“, so kann daneben eine liebevolle Beziehung bestehen bleiben.
Kids vertreten häufig eisern eine Position, nicht weil sie sich ihrer sicher sind, sondern weil sie sie am Widerstand der Eltern erproben wollen. Eltern bemerken oft gar nicht, dass ihre Kids auf sie hören, auch wenn sie lautstark und unfair dagegen argumentieren. Sie können eine elterliche Ermahnung verbal ablehnen und sich dann ohne Kommentar doch daran halten.
Die Ehe ihrer Eltern wird von den Jugendlichen nicht nur kritisiert, sondern auch getestet. Die Reaktionen der Eltern und ihre Beziehung zueinander werden genau beobachtet. Sie wollen wissen, ob die Beziehung ihrer Eltern für sie selbst ein Vorbild sein kann.
Sich mit diesen unvermutet hereinbrechenden Gefühlen der Kids auseinanderzusetzen, kann Eltern ganz schön überfordern. Es ist so, als würde ein Auto maximal beschleunigen und gleichzeitig immer wieder rasante Bremsmanöver einleiten. Eltern und Jugendliche werden immer wieder zu- und auseinander geschleudert.
Hilflosigkeit der Eltern führt oft zu Resignation oder wütenden Reaktionen. Eltern kommentieren die körperlichen Veränderungen in der Pubertät oft nicht liebevoll, sondern abwertend und brutal. Was ihre Kids massiv verunsichert und verletzt.
Doch wie kann es Eltern gelingen, ihre Kids durch diese Jahre des Schwankens zwischen Kindsein und Aufbruch und Loslösung gut zu begleiten?
Eltern sind immer Teil der Dynamik in der Familie. Es ist schwierig, seine Kinder wirklich erwachsen werden zu lassen und selbst älter zu werden, berichtet die Psychoanalytikerin Gertraud Diem-Wille aus ihrer Praxis. Unbewusst möchten viele Eltern kompetenter und jünger als ihre Kinder sein und auch bleiben.
Auch in der Psyche der Eltern werden nun tiefe Schichten der Persönlichkeit aufgewühlt, frühe Sehnsüchte und Enttäuschungen aktiviert.
Die erwachende Sexualität und körperliche Attraktivität ihrer Kids erinnert Eltern an ihr eigenes Älterwerden. Die Jungen drängen ins Rampenlicht und versuchen, die Älteren zurückzudrängen. Oft fällt die sexuelle Reifung der Jungen mit dem Nachlassen der eigenen Potenz und dem Ende der Gebärfähigkeit zusammen. Eltern beneiden ihre Kids um ihr unerschöpfliches Potential, während sie in ihrem eigenen Leben an die Grenzen der Realität stoßen. Ängste, Hoffnungen und Trennungserfahrungen aus ihrer eigenen Vergangenheit werden wach.
Die Auseinandersetzung mit diesen Erinnerungen und Emotionen kann für Eltern schmerzhaft werden, ist aber hilfreich. Ihre Abwehr kann Eltern dazu verleiten, ihre Kids mit heftigen Angriffen und eisernen Verboten zu bombardieren, was etwa Kleidung, Haarschnitt, Freundeswahl oder provokatives Verhalten betrifft.
Andere Eltern versuchen in Kleidung und Sprache ihre Kids nachzuahmen. Oder wählen neue Liebespartner, die selbst noch sehr jung sind.
Hilfreich für Eltern ist es, gemeinsam mit dem Partner über alle diese Gefühle sprechen zu können und einander zu verstehen und zu unterstützen. Wenn das familiäre Nest sich langsam leert, können gemeinsame Aktivitäten entwickelt werden, die sie während der Kindererziehung zurückstellen mussten: Gemeinsam Tanzen gehen, Yoga oder Bergtouren machen, Auslandsreisen oder Sportaktivitäten.
Das Älterwerden der Kinder rückt den großen Abschied von den Kindern in greifbare Nähe. Besonders Mütter, die wegen der Kinder ihre Berufstätigkeit aufgegeben haben, fürchten nun „arbeitslos“ zu werden. Es bedarf einer besonderen Anstrengung, sich wieder auf die eigenen Wünsche und Fähigkeiten zu besinnen.
„Lass mich selber Fehler machen!“
Das Kind aus eigener Erfahrung lernen zu lassen, bedeutet oft, zuzuschauen, wie das Kind schmerzliche Erfahrungen macht. Eltern leiden dann oft mehr, als die Kids selbst. Es ist eine große Leistung, wenn sie Jugendliche aus Fehlern lernen lassen, ohne noch zusätzlich eine Strafe zu verhängen oder Vorwürfe zu machen:
Lucy, 14, hat von ihren Eltern ein striktes Alkoholverbot bekommen. Doch beim ersten Ballbesuch nimmt sie die Einladung zu zwei Mixgetränken an – und macht dann Dinge, die sie nüchtern nie gemacht hätte. Alle reden über sie. Lucy ist das furchtbar peinlich.
Die Eltern ändern ihre Strategie. Sie erlauben ihr, künftig bei Festen ein halbes Glas Sekt zu trinken. Weder Vater noch Mutter schimpfen mit ihr, da ihr durch ihr Verhalten eine Lehre erteilt wurde. Durch so eine Erfahrung kann Lucy den Schritt von der Autorität ihrer Eltern zur Selbstdisziplin machen.
Eltern bleiben dennoch wichtige Vertrauenspersonen
Auf der Basis einer liebevollen Beziehung der Eltern zu ihren Kindern bleibt auch in den Zeiten der krisenhaften Jahre der Pubertät im Kern die Überzeugung, von den Eltern geliebt zu werden, sie zu lieben und ihnen vertrauen zu können, erhalten.
Was tust du, wenn du in Schwierigkeiten bist? Jugendliche nennen dann am häufigsten ihre Freunde und Freundinnen als Vertrauenspersonen. Doch knapp dahinter werden bereits ihre Eltern genannt. Nur 6% der befragten Jugendlichen würden sich nie ihren Eltern anvertrauen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Jugendstudie, die im Jahr 2010 in Österreich durchgeführt wurde.
In welchen Familien verläuft die Ablöse besonders „stürmisch“?
Besonders stürmische Zeiten erwarten häufig alleinerziehenden Eltern. Ein Netzwerk an Freunden und Freundinnen, die für Gespräche zur Verfügung stehen kann dann besonders hilfreich werden.
Auch Eltern, die zwar in einer ehelichen Beziehung leben, aber keine emotionale und sexuelle Nähe zu ihrem Gatten haben und daher emotional ganz an ihrem Kind hängen, werden massiv gefordert. In Patchwork-Familien können konflikthafte Loyalitäten mit Eltern und Stiefeltern den Ablösungsprozess zusätzlich erschweren.
Wenn Lieblosigkeit, Vernachlässigung, Ausbeutung, Misstrauen, psychische oder körperliche Gewalt und Demütigung durch die Eltern überwiegen, kanns für alle wirklich kritisch werden.
Paradoxerweise ist die Loslösung von diesen Eltern deutlich schwieriger. Eltern und Kinder bleiben dann in einer quälenden, engen Form miteinander verwoben, die negativ gepolt ist. Die Eltern werden als Vorbilder abgelehnt, unbewusst übernehmen und wiederholen ihre Kinder aber ihr Verhalten. Selbstschädigendes Verhalten der Jugendlichen, Selbstverletzung, Drogen, Kriminalität und Suizidgefährdung treten dann deutlich häufiger auf.
Verstehen Lernen hilft beim Navigieren durch stürmische Zeiten
Gelingt es den Eltern, die Ambivalenz und Kritik der Jugendlichen als Teil ihres notwendigen Ablösungsprozesses zu verstehen, der einfach Zeit braucht, so werden sie die Aussagen und Angriffe der Jugendlichen als weniger persönlich erleben. Eltern können dann ruhiger reagieren.
Das Verhalten der jungen Leute zu beschreiben, wirkt mehr als eine Wertung oder Abwertung. Erfahrene Eltern wissen, dass ihr Kind zwischen Bedürfnissen nach Aufbruch und Rückversicherung pendelt. Sie versuchen, ihre jugendlichen Kinder dennoch ernst zu nehmen und zu verstehen.
Wichtig für Eltern ist, sich gegenseitig zu unterstützten, eine klare Haltung einzunehmen und die Widersprüche in ihrem eigenen Leben, den eigenen Alterungsprozess, Ungereimtheiten und Fehler wahrnehmen und darüber reden zu können. So können sie für ihre Kinder zu Vorbildern werden, wie man/frau mit Krisen und mit eigenen Unzulänglichkeiten umgehen kann.
Denn auch als Erwachsene bleiben der „der innere Vater“ und die „innere Mutter“ in jedem von uns lebendig.
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