Wir tun es (fast) alle: Schimpfen. Manchmal, weil wir glauben, dass unsere Kinder das „brauchen“. Und noch viel häufiger, obwohl wir das eigentlich gar nicht wollen. Doch was macht das Schimpfen eigentlich mit unseren Kindern?
Was macht das Schimpfen mit unseren Kindern?
Ob wir wollen oder nicht: Schimpfen ist eine Form verbaler Gewalt, die an unseren Kindern nicht spurlos vorbei geht. Denn Schimpfen macht binnen von Sekunden für unsere Kinder eines klar: „So, wie du gerade bist, wollen wir dich nicht haben.“ Und auch wenn uns als Erwachsenen in solchen Momenten klar ist, dass mit einem solchen Satz die Liebe zu unseren Kindern nicht wirklich in Frage stellen, ist es genau das, was bei unseren Kindern ankommt. Und das hat Konsequenzen für verschiedene Lebens- und Entwicklungsbereiche.
Das Schimpfen und der Selbstwert
Wir alle haben eine Idee davon, wie viel wir als Mensch wert sind. Wie „hoch“ diese Selbsteinschätzung ausfällt, hängt maßgeblich von unseren Kindheitserfahrungen mit anderen Menschen ab. Kommen unsere Kinder immer wieder in Situationen, in denen wir ihnen sagen und/oder sie durch unser (nonverbales) Verhalten spüren lassen, dass sie nicht in Ordnung oder gar falsch sind, reift in ihnen die Überzeugung, wertlos zu sein. Jedes Mal, wenn wir toben und schimpfen, weil unsere Kinder etwas (nicht) getan haben, wird dieser destruktiven Keim in unseren Kindern genährt. Wenn dieses „Gewächs“ seine volle Größe erreicht, haben unsere Kinder einen unumstößlichen Glaubenssatz für sich gefunden, der sie in ihrer gesamten Zukunft leiten wird: Ich bin nicht gut genug – Ich bin falsch – Ich bin fehlerhaft – Ich bin wertlos Ich habe es nicht verdient, geliebt zu werden— Ich kann nichts – Ich muss es allen Recht machen. Das sind nur einige Beispiele für gängige Grundüberzeugungen, die Kinder ausbilden, wenn sie häufiges Schimpfen über sich ergehen lassen müssen. Solche Glaubenssätze machen einen Unterschied im Leben. In kleinen wie in großen Momenten. Jeden Tag. Darum ist es so wichtig für unsere Kinder, dass sie erfahren dürfen, dass sie richtig sind, so, wie sie sind. Vielleicht spüren Sie beim Lesen einer oder mehrerer Sätze, dass sich in Ihnen etwas bewegt. Dann kann es sein, dass auch Sie eine solche Überzeugung in sich tragen. Dann wünsche ich Ihnen sehr, dass Sie sich dieser Überzeugung zuwenden und ganz aktiv Gegenbeweise ins Feld führen. Denn Sie sind wunderbar und liebenswert, genau wie Ihr Kind.
Das Schimpfen und die Bindung
Häufiges Schimpfen belastet nicht nur Ihr Kind, sondern auch Ihre Bindungsbeziehung. Als Bindung bezeichnet man dabei das individuelle, unsichtbare Band, das Sie und ihr Kind über Raum und Zeit hinweg miteinander verbindet. Eine sichere Bindung ist ein wahrer Schatz, den wir unseren Kindern mit ins Leben geben können und eine wesentliche Grundvoraussetzung dafür, dass unsere Kinder in ihrem Leben selbst aufrichtige Beziehungen eingehen können. Erfahren unsere Kinder durch das Schimpfen immer und immer wieder, dass sie in ihrer so abhängigen Position von einer engen Bindungsperson degradiert werden, verlieren sie leicht das Vertrauen in gelingende Beziehungen. Anstelle des Vertrauens tritt das Misstrauen und der Schmerz. Spätestens in dem Moment, wenn unsere Kinder ihren Weg aus dem Machtgefälle finden (das ist oft spätestens mit dem Erreichen der Volljährigkeit der Fall), wird eine von Misstrauen und Verletzung geprägte Eltern-Kind-Beziehung für uns als Eltern spürbar: Unsere Kinder wenden sich ab, suchen keinen Rat bei uns, lassen uns vielleicht sogar „hinter sich“.
Schimpfen pflanzt sich fort
Wenn wir regelmäßig mit unseren Kindern schimpfen, wird das mit einer großen Wahrscheinlichkeit auch das Leben unserer (ungeborenen) Enkelkinder beeinflussen. Denn für das menschliche Gehirn ist die akute Stresssituation des „geschimpft Werdens“ sehr einprägsam. Kommen unsere Kinder dann mit ihren eigenen Kindern in ähnliche Situationen, ist es viel wahrscheinlicher, dass sie schimpfen. Denn diese Reaktionsmöglichkeit ist durch die rege Erfahrung im Gehirn gut zugänglich. Im Prinzip können Sie sich das Schimpfen vorstellen wie eine Machete, die sich im Dschungel der Hirnzellen ihren Weg bahnt. Je häufiger wir schimpfen, desto breiter wird dieser Weg und desto wahrscheinlicher ist es, dass unsere Kinder ihn selbst einmal mit ihren Kinder „beschreiten“ werden. Auch, wenn sie es vielleicht genauso wenig wollen wie wir es gerade mit ihnen möchten.
Wege aus dem Schimpfen
Wenn Sie spüren, dass es so nicht weitergehen kann und Sie das Schimpfen reduzieren möchten, können Sie einiges tun. Zu allererst: Nehmen Sie sich mit diesem Wunsch ernst. Es ist wesentlich, dass Sie diesen Weg als das begreifen, was er ist: ein herausfordernder Prozess, zu dem Rückfälle genauso gehören können wie Gefühle der Überforderung. Deswegen brauchen Sie dafür vor allem eines: Sich selbst an Ihrer eigenen Seite! Wenn Sie das nächste Mal schimpfen und Sie im Nachhinein das schlechte Gewissen plagt, lassen Sie sich davon nicht kein machen, sondern übernehmen Sie die Verantwortung. Entschuldigen Sie sich bei Ihrem Kind (aber nur, wenn Sie das auch so meinen) und gehen gedanklich noch einmal durch, wie das eine zum anderen geführt hat. Wie kam es dazu, dass Sie geschimpft haben? Was hat ihr Kind (nicht) getan, was haben Sie (nicht) getan? Und spüren Sie ganz genau hin: Gibt es da einen Glaubenssatz, der tief in Ihnen selbst aktiv ist? Derartige Erkenntnisse brauchen Zeit. Und nicht immer macht es Sinn, diesen Weg alleine zu gehen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich auf diesem Weg immer dann Unterstützung mit ins Boot holen, wenn Sie sie brauchen, denn das haben Sie verdient – und Ihr Kind auch.
Daniela Gaigg
Daniela Gaigg lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Wien. Seit 2012 schreibt die Selbstliebetrainerin und Bloggerin auf diekleinebotin.at über den bewegten Alltag als Mama. Beziehungsorient, nachhaltig und kreativ sind dabei die Schwerpunkte. 2019 erschien ihr erstes Buch „Die Schimpf-Diät“, „Selfcare für Mamas“ 2021 im Beltz Verlag.
Gelassen erziehen
Inzwischen ist „Gelassenheit“ mein Geheimrezept für „Erziehung“ oder anders gesagt, den Alltag als Familie.
Kommentare
Yvonne
Wer sich mit Elternbildung beschäftigt, weiß, das Schimpfen auch eine Form verbaler Gewalt ist. Aber was können wir denn machen, wenn das Kind eine "Ordnung" zum Augenkrebs bekommen im Zimmer hat? Wenn die gewaschenen, zusammen gelegten Sachen irgendwo rumliegen und bestenfalls dann nach einer Woche irgendwohin gestopft werden? Oder wenn der Müll oder Geschirr immer im Zimmer bleiben? Situation beschreiben hilft da leider auch nicht und selbst das wäre in den Augen meines Sohnes mecker. Und wenn ich beschreibe, was es mit MIR macht, bekommt er womöglich ein schlechtes Gewissen während wir anderseits predigen, dass jeder selbst für sein Gefühl verantwortlich ist.... Für hilfreiche Tipps wären wir alle sehr dankbar.
Sara
Danke erstmal von Herzen . Wer es wirklich ändern möchte, kann ich das Buch,, Wild Child'' von Herzen empfehlen. Mir hilft es sehr.. Alles liebe
Miriam
Ich habe schon so oft gehört und es macht durchaus Sinn, eine Situation dem Kind zu beschreiben, anstatt zu schimpfen. Nur dieses aufkochende, negative Gefühl, das in mir wie eine Explosion aufkommt und daraufhin unschön herausplatzt, ist nicht einfach in den Griff zu bekommen. Danke für den Artikel, denn es ist wirklich wichtig das in den Griff zu bekommen.
Belinda
Liebe Isabel, Danke für deine so wertvolle Beiträge. Dieser kommt wie gerufen, fragte mich mein Kind bei der Zerkleinerung des Schneesterns ob ich jetzt wieder schimpfen würde. Ich erwiderte nein, sicher nicht. Gleichzeitig rutscht mir doch immer wieder etwas unpassendes raus. Ich bin dran. Ich will und werde es ändern. Danke für den Reminder. Alles Liebe, Belinda
Christina
Und was mache ich dann wenn das Kind z. B. In die Steckdose greifen möchte, essen umherwirft oder ähnliches?
Stefanie
Toller Beitrag! Wo finde ich Gegenbeispiele wie es besser geht? Ich meine ich weiß jetzt wie es nicht sein soll, aber was soll ich in Situationen machen und sagen in denen ich bisher geschimpft habe? LG