Das Jahr 2020 brachte für Familien bislang schwer vorstellbaren Ereignisse mit sich und veränderte den Alltag für Eltern und Kinder massiv.
Seit März 2020 erleben wir weltweit eine gesundheitliche Krise mit sehr hohen Herausforderungen. Lockdowns unterschiedlichen Umfangs und Ausmaßes legen das gesellschaftliche Leben lahm, Homeoffice, Homeschooling, finanzielle Probleme, Arbeitsplatzverlust, Streit um Schreibtisch und Computer, Konflikte zwischen den Familienmitgliedern, häusliche Gewalt kamen zur Angst vor der Ansteckung bzw. der Erkrankung hinzu. Etliche Menschen mussten sich mit dem Verlust einer geliebten Person auseinandersetzen oder durchlebten belastende Tage und Woche, wenn jemand aus dem sozialen Umfeld schwer erkrankte.
Die Pandemie hält uns nach wie vor in Atem, das Wiener Terrorattentat ist etwas in den Hintergrund getreten, doch für diejenigen die bereits Traumata er- und überlebt haben oder in dieser Nacht betroffen waren, wirken seine Folgen auf psychischer Ebene fort.
Was macht das psychisch mit uns?
Die Pandemie fordert uns konstant heraus, uns an sich stets verändernden Bedingungen anzupassen, die Bedingungen, die der medizinischen Prävention dienen, engen uns im täglichen Ablauf ein, sie erzeugen Stress, und zwar chronischen Stress. Dieser strengt uns auf Dauer an, Erschöpfung auf körperlicher Ebene (etwa Konzentrationsprobleme, Verspannungen, Verdauungsprobleme, Verlust von Vitalität und Lebensfreude) und eine Anpassungsstörung auf psychischer Ebene sind die Folgen. Sie tritt auf, wenn Menschen einen neu eingetretenen schwierigen psychischen oder physischen Zustand über einen längeren Zeitraum hinaus nicht akzeptieren können bzw. sich an die neue Lebenssituation nicht adäquat anpassen können. Die Anpassungsstörung zeigt sich durch Zustände subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigungen. Angst, Sorge, Freudlosigkeit, Ärger, Irritation können auftreten. Die Symptome der Anpassungsstörungen können in unterschiedlicher Stärke auftreten und sich von Tag zu Tag unterscheiden. Gefühle von Isolation, Bedrängnis und Traurigkeit sowie der Eindruck, den alltäglichen Lebensaufgaben nicht mehr gewachsen zu sein, können auftreten. Das Sozialverhalten der Betroffenen wird beeinträchtigt und die Leistungsfähigkeit ist eingeschränkt. Sozialer Rückzug und Aggressivität können vorkommen. Kaum jemand bleibt aktuell davon verschont, Menschen aus sozial schwierigeren Schichten kämpfen in der Regel noch etwas mehr mit diesen Folgen, weil ihre Ausgangslage per se schon herausfordernder und somit anstrengender ist.
Was hilft?
Pausen, Abwechslung, Entspannungsmomente in den Alltag einbauen, Bewegung in der frischen Luft, Pflege der sozialen Kontakte können helfen, diese Gefühle zu überwinden. Ein gut strukturierter Alltag hilft den Kindern, diese Strukturen tragen dazu bei, dass Kinder sich sicher und aufgehoben fühlen und sich orientieren können, wenn plötzlich wieder alles anders ist. Fixe Arbeits- und Lernzeiten, in Abwechslung mit Freizeit-, Spiel- und Ruhephasen vermitteln Stabilität und Routine, beides Faktoren, die die kindliche Entwicklung fördern. Wenn die Emotionen „überschießen“, jemand in der Familie die „Nerven wegschmeißt“, dann gibt es mehrere Methoden damit umzugehen und die emotionale Irritation zu lindern: regelmäßige Atemübungen (in angenehmer Sitzposition langsam einatmen, kurz die Luft anhalten und dann langsam wieder ausatmen, dabei eine Hand auf den Bauch legen, um zu spüren, dass dieser sich hebt und senkt), senken das allgemeine Stressniveau und helfen die Emotionen zu regulieren. Auch eine kleine Frage, was konkret los sei kann helfen. Weiters kann es gut sein, wenn man das Familienmitglied, dass es gerade schwer hat, kurz in Ruhe lässt, ebenfalls hilfreich ist es, keine Vorwürfe zu machen, Zuhören hilft hingegen sehr. Für Kinder ist es bisweilen schwierig ihre Gefühle in Worte zu fassen, andere Ausdrucksformen verweisen aber auch ihre Sorgen und Gefühle. Zeichnen könnte helfen, wenn man mit dem Kind über die Zeichnung spricht, d.h. vor allem nachfragt, was das Kind mit der Zeichnung „sagen“ will. Je mehr Ruhe man in den Alltag bringt, desto entspannter kann man mit der gegenwärtigen Pandemie und ihren umfassenden Folgen leben. Eine Planung von Tag und Tag lässt jeden lernen, was täglich bewältigt wurde, und zeigt damit wie gut – trotz allem – jeder Tag bewältigt wurde. Das gibt Hoffnung, auch die nächsten paar Tage gut zu überstehen, vermittelt etwas Optimismus, diese Zeit zu schaffen und erlaubt es, dass wir uns täglich der positiven Seiten dieser Zeit zu betonen, denn wenn man auf die negativen Seiten, die Misserfolge, das Scheitern und die schlimme Situation fokussiert, dann gerät man sehr schnell in die negative Abwärtsspirale und erhöht somit das Risiko eine ernsthafte psychische Problematik, z.B. eine Depression zu entwickeln.
Der Terroranschlag von Wien ist als traumatisches Ereignis zu beschreiben, traumatisch deshalb, weil plötzlich, unerwartet, bizarr, Gewalt ausbrach, auf die niemand vorbereitet war und für viele Menschen Todesangst entstand. In der Regel vergehen die damit verbundenen psychischen Probleme nach ein paar Wochen wieder, doch bleiben sie bestehen, sprechen wir von einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder eine KPTSD.
Diese psychischen Reaktionen (in der Fachsprache: psychische Störung bzw. Erkrankung) tritt vor allem bei Erwachsenen auf, aber auch bei Kindern, insbesondere, wenn sie vom Trauma direkt betroffen waren oder jemanden verloren haben. So oder so ist es für Kinder schwierig sich in diesen Situationen zurecht zu finden.
Traumatisierte oder trauernde Eltern
Wenn Eltern um einen geliebten bzw. nahestehenden Menschen lange und intensiv trauern, ausgedrückt z.B. durch ein konstantes Sehnen nach dem Verstorbenen, oder einer andauernden Beschäftigung mit ihm oder ihr, verbunden mit emotionaler Taubheit, ein Nicht-Glauben Können des Verlustes, Bitterkeit oder Ärger darüber, irrationale Selbstvorwürfe über den Tod dieses Menschen, und Schwierigkeiten haben sich auf soziale oder andere Aktivitäten einzulassen, und dieser Zustand dauert mehr als sechs Monate an und beeinträchtigt die Person in nahezu allen Alltagsbelangen, so sprechen wir von einer komplexen Trauer.
Was hilft?
Die Eltern oder ein Elternteil kann durch diese komplexe Trauerreaktion nicht mehr die Bedürfnisse des Kindes wahrnehmen, sei es in Bezug auf den Alltag oder auch im Wunsch des Kindes, den Tod zu verstehen, und die Reaktionen des Elternteils zu mildern, dann ist es für den Elternteil höchste Zeit sich psychotherapeutische Unterstützung zu holen, vor allem, um die Bedürfnisse der eigenen Kinder wieder wahrnehmen und befriedigen zu können.
Verlust eines Freundes/nahen Angehörigen
Für Kinder gibt es eine wissenschaftliche fundierte Diagnose für eine komplexe Trauerreaktion nicht, weil Kinder je nach Alter bzw. Entwicklungsstand ein unterschiedliches Verständnis von Tod und Trauer haben. Sehr junge Kinder fragen häufig nach dem Tod, und ob der Verstorbene z. B. noch etwas spürt, auch fehlt der Zeitbegriff, sodass sie nicht verstehen können, was es bedeutet, dass die verstorbene Person nie mehr kommt. Sie fragen immer wieder nach.
Was hilft?
Dem Kind diese Fragen beantworten, also z.B. das der/die Verstorbene nichts mehr spürt, keinen Schmerz mehr hat und nun begraben ist. Daher ist es auch für das Verstehen-können wichtig, dass das Kind am Begräbnis teilhaben kann, weil das Begräbnis eine reale Handlung ist. Wenn man dem Kind mitteilt, dass die/der Verstorbene nun z.B. ein Stern im Himmel ist, regt man damit die oft lebhafte Phantasie des Kindes noch mehr an und das Kind könnte stets nach dem Stern suchen. Ein Begreifen des Geschehenen wird damit deutlich erschwert. Wichtig ist, dass Kinder nicht ausgeschlossen werden, im Versuch es zu schonen, das Kind verspürt eher das Ausgeschlossen sein, weniger die liebevoll gemeinte Schonung.
Vom Trauma direkt betroffen
Trat der Tod unerwartet, plötzlich und nicht vorhersehbar ein, z.B. durch den Terroranschlag, so sprechen wir von einem traumatischen Ereignis. In der Folge können sich sowohl komplexe Traumareaktionen entwickeln. Diese Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) umfasst vier Symptombereiche: Intrusionen (Bilder, Geräusche oder andere lebhafte Eindrücke des traumatischen Geschehens, die im wachen Zustand, aber auch im Schlaf eindringen. Man fühlt sich quasi überflutet durch diese starken traumabezogenen Bilder.
Vermeidung: Betroffene versuchen diese Überflutungen und die traumabezogenen Gedanken abzuschalten, auch versuchen sie alles zu vermeiden, was an das Trauma erinnert, in der Regel scheitern die Versuche der Vermeidung, allerdings kann eine Verflachung der psychischen Reaktionsfähigkeit eintreten, wir sprechen dann von „numbing“. Die Betroffenen berichten, dass ihre Gefühle sich wenig voneinander unterscheiden und sie sich von anderen Menschen entfremdet fühlen.
Körperliche Übererregung (hyperarousal): die Betroffenen sind tagsüber übermäßig wachsam gegenüber vielen Reizen, z. B. Geräuschen, Gerüche, Gesichtern, Bewegungen von Menschen, die sie irgendwie mit dem traumatischen Geschehen verknüpfen. In der Nacht haben die Betroffenen Schwierigkeiten ein- bzw. durchzuschlafen.
Kommt die Traumatisierung aus langdauernden und vielfachen Ereignissen (z. B. langandauernde sexuelle Gewalt, Fluchterfahrungen, Kriegserfahrungen), können zusätzlich zu diesen Symptomen noch Probleme mit der Selbstregulation (starke emotionale Reaktionen, Aggressionen oder ein Verflachen der Gefühle), ein negatives Selbstkonzept (Überzeugung minderwertig, wertlos, unterlegen zu sein, Schuld- und Schamgefühle), und Probleme in zwischenmenschlichen Gefühlen (es ist schwer Beziehungen aufzubauen und sie aufrechtzuerhalten) hinzukommen.
Für Kinder gibt es keine spezifischen Diagnosekriterien für die PTBS, aber wenn das Kind länger unter Alpträumen leider, in der Schule immer schlechter wird, häufig weinerlich ist, aber sich stark zurückzieht und von einem Trauma betroffen ist, dann können diese Hinweise sein.
Was hilft?
Vorwurfsfreies Nachfragen und Zuhören, Zeichnen und über die Zeichnung sprechen, durch Hilfe- und Unterstützungsangebote nicht überfordern (einfach mal das Kind ein bisschen in Ruhe lassen), Atemübungen zur Entspannung, Rat bei Expert*Innen suchen, auch hier gilt: bitte überprüfen, ob der/die Expert*in eine traumaspezifische Weiterbildung absolviert hat.
Sollte jemand unter diesen Symptomen oder auch nur einem Teil dieser Symptome länger als vier Wochen leiden, wird geraten, psychologische Behandlung oder Psychotherapie (unbedingt darauf achten, dass der/die Expertin eine traumaspezifische Weiterbildung absolviert hat) in Anspruch zu nehmen. Es gibt psychotherapeutische Behandlungsmethoden, die sehr gut helfen.
Brigitte Lueger-Schuster ist Univ.Professorin an der Fakultät für Psychologie, Institut für Klinische und Gesundheitspsychologie an der Universität Wien. Sie leitet die Arbeitsgruppe Psychotraumatologie. Sie beschäftigt sich insbesondere mit den Langzeitfolgen kindlicher Traumatisierung und komplexer Traumafolgestörungen, aber auch mit Traumafolgestörungen bei Kindern und Jugendlichen. Für die in der ICD-11 konzipierten K-PTBS lieferte ihre Arbeitsgruppe erste Studien zur Validität des Konzeptes und der Symptomatik. Sie war Präsidentin der „European Society of Traumatic Stress Studies“, und ist Mitglied mehrerer internationaler Forschungsgruppe zu Trauma und Traumafolgestörungen. Viele Jahre hat sie sich auch praktisch mit den psychischen Folgen von Trauma und Trauer beschäftigt, insbesondere für Betroffene von Großschadenslagen oder Katastrophen. Aktuell arbeitet sie an einer internationalen Studie zu den psychischen Folgen der Pandemie.
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