Erstaunlicherweise sind es Kinder, die am häufigsten albträumen. Im Alter zwischen 5 und 10 Jahren ist das Vorkommen von Albträumen am höchsten. 70% – 90% junger Erwachsener berichten, dass sie in ihrer Kindheit häufig Albträume erlebt haben. Leben wir in einer so grausamen Welt, dass die jungen Erdenbürger sich erst daran gewöhnen müssen und ist die Welt daher tatsächlich eine böse?
Die Studie einer meiner ehemaligen Studentinnen, die auch Kindergärtnerin war, hat ergeben, dass wir offenbar nicht von Geburt an Träume als Träume erleben, dass das Identifizieren dieser Traumwirklichkeit erst gelernt sein will. Kinder beginnen offenbar erst etwa ab dem zweiten oder dritten Lebensjahr, Träume von Geschichten und Märchen, von kurzen Fernsehclips oder auch von Witzen (also von Aussagen, die nur scherzhaft und nicht ernst gemeint sind) zu unterscheiden.
Mit Schulbeginn ist dieser „Realitätssinn“ offenbar vorhanden.
Kinder wissen dann: Das war eine Geschichte, die mir erzählt worden ist, und das habe ich geträumt. Ich finde es immer wieder interessant, dass in den Jahren davor unsere Erlebenswelten offenbar ineinander verschwimmen. Allerdings ist dies auch wieder nicht verwunderlich, bedenkt man, dass ein Neugeborenes die Welt erst einmal durch die Augen der Mutter lernt bzw. die Welt der Mutter (oder der Hauptbezugsperson) so erlebt, als wäre es die eigene. Und so gesehen ist es nicht verwunderlich, dass das Erleben von Albträumen eben auch erst etwa im Alter von fünf Jahren beginnt, dann aber gleich heftig sein dürfte und ab dem zehnten Lebensjahr in seiner Intensivität wieder abnimmt – vielleicht sollten wir unser Schulsystem ja doch überdenken!
Jedenfalls gilt es als ganz normal, dass Kinder im Alter zwischen fünf und zehn häufig von beängstigenden Träumen berichten. Dennoch muss man das nicht hinnehmen und wenn die Albträume sehr häufig vorkommen, sich ähneln und ein Kind sehr belasten, sollte man den Ursachen nachgehen und professionelle Hilfe suchen.
In der Pubertät wird das Albträumen in puncto Häufigkeit von der bereits beschriebenen Schlafparalyse abgelöst. Oft wissen die Betroffenen nicht, was das ist, und schämen sich oder nehmen diese Qual einfach so hin, was übrigens für Schlafstörungen allgemein gilt.
Kinder aus Kriegsgebieten, also Kinder auf der Flucht sind häufig betroffen, was kaum verwunderlich ist, wenn man sich vorstellt, dass sogar Erwachsene angesichts der Grausamkeiten, die sie dort erleben, sich oftmals nur schwer davon erholen können. Kinder träumen jedoch nicht allein von dem, was sie gesehen haben. Sie verarbeiten es manchmal in symbolische Traumwelten, in denen sie zum Beispiel davon träumen, dass sie von einem Wolf verfolgt werden. Die drohenden Menschen wandeln sich in der kindlichen Albtraumwelt oft in Tiere und andere symbolische Gefahrenquellen. Dabei wäre es eine große Erleichterung wenn diese Träume einfach erst einmal nur adressiert werden würden, vorsichtig und mit großem Respekt, denn wenn es sich um Träume handelt, die aufgrund schlimmer Erfahrungen vorkommen und das immer wieder, kann das Erzählen davon das Leid noch verschlimmern.
Das Umfeld spielt ebenfalls eine große Rolle. Wenn Kinder in Armut leben oder in einer gewaltbereiten Umgebung, oder wenn Eltern bereits an Albträumen leiden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das die Träume der Kinder färbt.
Morgens stehen wir stets alle unter Druck. Wir müssen zur Arbeit, die Kinder müssen zur Schule. Ich empfehle dennoch, sich morgens ein wenig mehr Zeit zu gönnen. Eltern können am Frühstückstisch mit den Kindern besprechen, was diese in der Nacht geträumt haben. Kinder träumen oft, es ist daher wahrscheinlich, dass sie manchmal auch etwas zu erzählen haben. Es macht wenig Sinn, einen Traum im Detail mit dem Kind analysieren zu wollen, aber Besprechen nimmt dem Albtraum – falls es einen gegeben haben sollte – oft schon den Schrecken. Hinweise geben auch die schulische Leistung, die nachlässt, wenn Kinder häufig an Albträumen leiden, oder Launenhaftigkeit, Hyperaktivität und Übermüdung, da belastende Albträume meistens von Schlaflosigkeit begleitet sind.
Da Eltern jedoch selbst oft keine Zeit für solche ausführlichen, morgendlichen Gespräche haben, möchte ich an dieser Stelle auf ein sehr spannendes Schulprojekt aufmerksam machen. Es wurde in Brasilien entwickelt, und ich wurde darauf aufmerksam, als die Schulleiterin und Initiatorin Dr. Yvonne de Mello es in Wien vorstellte. Das Projekt »UERÊ« wurde konzipiert, um den Kindern der Ärmsten eine Schulbildung zu ermöglichen, und zwar mit dem Grundgedanken, dass Bildung der einzige Ausweg aus der Armut sei. Nach vielen Schwierigkeiten vor der Eröffnung machte die Schule endlich ihre Tore auf in einer der ärmsten der sogenannten Favelas von Rio. Bald schon stellte Dr. Yvonne de Mello fest, dass die Kinder, die sie im Unterricht hatten, größtenteils unter schwersten Traumata litten. Ihre Schüler wuchsen bzw. wachsen in einer Welt auf, in der Hunger und Gewalt an der Tagesordnung sind. Die Kinder sind teilweise dermaßen traumatisiert, dass sie nicht mehr in der Lage sind, sich zu konzentrieren und zu lernen. Um dem entgegenzuwirken konzipierte Dr. Yvonne de Mello ein völlig neues Schulsystem. Ich werde hier nicht auf die Details des Unterrichts eingehen, weil dies nicht mein Thema ist. Aber der Beginn eines solchen Schultages ist einer, den ich sehr gerne an jeder Schule sehen würde. Zunächst wird gefrühstückt, gemeinsam. Das hat den Vorteil, dass die Lehrer sicher sein können, dass die Kinder nicht hungrig in den Unterricht gehen. Zugleich stärkt dies das Vertrauen und den Zusammenhalt der Gruppe. Danach wird gesprochen. Über die Nacht, über die Erlebnisse und die Albträume, die dort fast jedes Kind hat. Erst dann, wenn die Kinder sich ihr Leid von der Seele erden konnten, wird mit dem Unterricht begonnen, eine Stunde nach Schulbeginn. Malen und Tanzen sind ebenfalls an der Tagesordnung, als Teil des Unterrichts, jedoch auch zu Therapiezwecken, damit die Kinder sich auf ihre Weise ausdrücken können.
Eine weitere Methode für Kinder, ihre Albtraumwelten zu überwinden, ist das luzide Träumen. Darunter versteht man im Traum den Traum zu erkennen und die Traumgeschichte mit bestimmen zu können. Im Gegensatz zu dem, was man vielleicht vermuten könnte, ist es für Kinder sehr leicht, das luzide Träumen zu erlernen, da ihre Traumwelten, Fantasiewelten und die Realität kaum voneinander zu unterscheiden sind. Für Kinder ist luzides Träumen fast schon ein natürlicher Vorgang, denn sie haben nicht die Blockaden, die sich Erwachsene selbst setzen, indem sie streng Realität von Traum abgrenzen. Doch dieses luzide Träumen ist noch sehr wenig erforscht, man weiß nicht, ob die Auswirkungen davon nur wünschenswert sind, daher ist Vorsicht angebracht. Aber dem Kind von der Möglichkeit zu erzählen, dass es seine Albträume im Traum ändern kann und wie es das machen könnte, bringt das Kind vielleicht auf Ideen, wie es einem Monster begegnen könnte.
Solche Bewältigungsmöglichkeiten sind spannend und viele machen das einfach von sich aus, aber das Gespräch, der Dialog, der Kontakt zum Kind ist wichtiger. Daher empfehle ich Einschlafrituale. Den Tag vor dem „zu Bett Gehen“ noch einmal Revue passieren lassen, um sicher zu gehen, dass das Kind keine Belastung in den Schlaf mitnimmt, und danach eine Gutenachtgeschichte. Ich bin mir dabei nicht sicher, ob ich unbedingt ein Märchen der Gebrüder Grimm aussuchen würde. Diese sind oft sehr grausam. Es gibt noch keine Studien, ob solche grausamen Kindergeschichten mit Albträumen bei Kindern in Zusammenhang stehen, ausschließen würde ich es vorerst aber nicht.
(diese Inhalte stammen teilweise aus meinem Buch „Albträume, was sie uns sagen und wie wir sie verändern können“)
Kommentare