Elternsein heißt, ein Kind von der Geburt an beim zunehmenden Selbstständigwerden zu begleiten. Es ist ein Prozess in die wachsende Unabhängigkeit. Eltern von Teenagern sind diesbezüglich besonders gefordert: wenn Jugendliche – oft schon ab dem 12. Lebensjahr – miteinander weggehen, ohne Aufsicht Erwachsener Dinge unternehmen, sich selbst, ihren Körper, ihre sexuelle Identität ausprobieren, schwierige Erfahrungen sammeln, ihre eigenen und die elterlichen Grenzen austesten…
Reden statt Verbieten – Umgang mit Sorgen
Viele Eltern haben Angst und machen sich Sorgen, weil sie ihr Kind schützen und behüten wollen. Verbote, Drohungen und Wegschauen sind oft Zeichen elterlicher Hilflosigkeit in solchen Situationen. Elterliches Sorgenmachen und ständiges Ermahnen behindern eine offene Beziehung zwischen den nach Unabhängigkeit strebenden Jugendlichen und ihren Eltern. Eine besondere Herausforderung liegt in der Emotionalität der Situationen. Was liegt uns mehr am Herzen als die Sicherheit der Menschen, die wir am meisten lieben? Kaum ein Gefühl kann so stark sein, wie die Angst. Sie erschwert eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema „Risiko“ und führt oft zu Vermeidungsverhalten wie Verdrängen, Verschieben und Verschweigen oder dazu, dass wir unseren Kindern „Moralreden“ halten, Verbote aussprechen und zornig und wütend reagieren, wenn sich Jugendliche nicht daran halten. Das alles ist verständlich und nachvollziehbar. Ein „mittlerer Weg“ der Risikoprävention vermeidet allerdings diese beiden Extreme. Zutrauen, Miteinander-Reden und Regeln-Vereinbaren sind zugewandte Möglichkeiten im Umgang mit grenzüberschreitenden Verhaltensweisen. Auf der einen Seite ist das Vertrauen in die Fähigkeiten des Kindes gefragt, oft verbunden mit einem – durchaus schmerzhaften – „Loslassen“ und auf der anderen Seite braucht es eine klare Haltung der Bezugspersonen, (ein paar wenige!) eindeutige Regeln, logische Konsequenzen und altersgerechte Informationsvermittlung. Das heißt vor allem: offenes Miteinander-Reden!
Freiheit und Sicherheit geben – kein Widerspruch
Was alles können Eltern tun um Jugendlichen Sicherheit und Freiheit bieten zu können? Einer der wichtigsten präventiven Faktoren ist: Als Bezugspersonen da zu sein, wenn Kinder uns brauchen. Wir können Konflikte, Krisen und Risikosituationen nicht vermeiden, aber wir können Kinder bei der Bewältigung, Verarbeitung und dem Einordnen einer Krisensituation unterstützen. Nehmen wir den Fall, dass ein Jugendlicher und dessen Freunde wissen, dass seine Eltern ihn abholen würden, wenn er zu betrunken ist, um den Weg nach Hause anzutreten –auch um 2 Uhr nachts, auch wenn die Eltern berufstätig sind. Nehmen wir den Fall, dass eine Jugendliche weiß, dass Sie mit ihren Eltern über das sexuell zudringliche Verhalten einer Person sprechen kann – obwohl sie weiß, dass sie für den Club zu jung ist und obwohl sie sogar ihren Ausweis gefälscht hat. Kinder und Jugendliche machen Dinge, die wir als Erwachsene nicht unbedingt rational verständlich, schon gar nicht vernünftig noch nachhaltig finden. Jugendliche testen Grenzen aus und überschreiten sie dabei, manchmal recht deutlich. Das hat neben den Entwicklungsaufgaben auch biologische Gründe: Die Gehirnentwicklung von Jugendlichen hemmt Risikoverhalten nicht derart wie bei Erwachsenen. Und es gibt unterschiedliche biologische Einflussfaktoren: Temperament und Aktivierungsniveau sind bei uns Menschen unterschiedlich ausgeprägt und biologisch verankert. Dieses Wissen hilft, uns in Jugendliche hineinversetzen zu können und auf das Risikoverhalten zwar mit klarem Feedback aber ohne moralische Vorwürfe zu reagieren. Wenn es eine Familie schafft, schwierige Dinge, wie das sehr verspätete Nachhause-Kommen, ruhig und sachlich sowie ausgehend von den eigenen Emotionen („Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du mir wichtig bist!“, „Ich bin erschöpft und verärgert, weil ich bis jetzt gewartet habe.“) besprechbar zu machen, wird auch der wichtigste präventive Faktor gestärkt: das Selbstvertrauen. So bekommt das Kind das Zutrauen, gemeinsam stimmige Lösungen zu suchen und zu finden.
Ehrlich Rückmelden heißt Ernstnehmen
Bei Jugendlichen ist es oft sehr herausfordernd im Gespräch den richtigen Ton zu treffen: Zuviel Verantwortungsübergabe kann überfordernd wirken, zu wenig Mitspracherecht hingegen leicht eine Trotz-Reaktion hervorrufen. Wichtig ist es außerdem das Faktum zu beachten, dass Kinder und Jugendliche weniger kognitiv „vorplanen“. Was wichtig ist, ist der Augenblick. Und da zählt erst einmal, dass die Eltern nicht mehr verärgert oder zu streng sind. So werden leicht Zugeständnisse nach dem Motto „Voll! Ja-Ja-mach-ich-Eh“ gegeben, die dann aber nicht eingehalten werden. Auch das ist nichts charakterlich Verwerfliches sondern ein normales Phänomen für das Alter. Doch Feedback darauf zu geben ist die elterliche Aufgabe und zumutbar – ehrlich, emotional und sachlich. Ignoranz, Gleichgültigkeit und Resignation verarmen und vereisen die Beziehung. Rückmeldung-Geben bedeutet, dass das Gegenüber einem wichtig und wertvoll ist. Jugendliche brauchen diese Erfahrung, dass sie ernst genommen werden und ihnen immer wieder – trotz des Wissens um ihre entwicklungsbedingte Unvernunft – von Neuem vertraut wird und vor allem, dass ihnen die eigene Erfahrung und Bewältigung – auch von Risikosituationen – zugetraut wird.
Eltern sollten im Gespräch von ihren eigenen Emotionen ausgehen, indem sie ihre Sorge, Wut, Enttäuschung oder Angst beschreiben – nicht ausagieren! Die Sorgen und sollten auf ein erträgliches Maß reduziert werden. Nachvollziehbare Sorgen wirken dabei als Regulativ und bieten dem Kind Orientierung. Wenn Jugendliche merken, dass sie genug Freiräume bekommen, um sich zu entwickeln, werden sie versuchen, auch die elterlichen Gefühle zu beachten und es können wirklich GEMEINSAME Entscheidungen getroffen und Regeln aufgestellt werden. Wenn wiederholt rote Linien der elterlichen Sorgen- und Frustrationstoleranz überschritten werden, sollte die gemeinsame Beziehung reflektiert werden. Dabei kann auch professionelle psychologische Hilfe sinnvoll sein. Natürlich sind auch Konsequenzen wichtig: Bekommen die/der Jugendliche noch immer Geld um fortzugehen, obwohl sie sich nicht an gemeinsam vereinbarte Regeln hält?
Gefahren ansprechen
Ein weiterer Baustein für die gelungene Risikoprävention ist die Informationsvermittlung. Hier können Eltern Jugendliche explizit über Gefahren aufklären. In entspannten Momenten, wie im Urlaub, beim Spaziergang oder Essen können die Themen „Internet“, „Fortgehen“, „Sex“ oder „Alkohol“ explizit angesprochen und gemeinsam über bisherige Erfahrungen und mögliche Gefahren nachgedacht und gesprochen werden. Dabei haben Erwachsene nicht in allem einen Erfahrungs- und Wissensvorsprung – es darf voneinander gelernt werden, bei manchen Themen wie zB social-media-Praxis sind Jugendliche meist „fitter“. Das Erinnern und Erzählen von Geschichten aus der eigenen Jugend ist oft interessant und lustig für beide Seiten und kann eine Brücke für das Besprechen der aktuellen Gefahren bilden. Es ist wichtig ganz deutlich zu machen, was nicht in Ordnung ist: wenn Jugendliche andere Jugendliche zum Alkoholtrinken drängen, wenn im Club eine Person nach dem Po der Jugendlichen grabscht, wenn der Uber-Fahrer anzügliche Anspielungen macht. Das alles kann passieren, und es ist von Vorteil, wenn Jugendliche nicht überrascht sind und eine solche Situation schon einmal durchgedacht haben. Auch heikle Themen wie Nacktfotos verschicken, K.O.-Tropfen und Date-Rape sollen angesprochen werden. Es ist nicht zu erwarten, dass sich Jugendliche bei einem solchen Gespräch lebhaft beteiligen, aber es wird innerlich „weiterarbeiten“ und oft kommen sie zu einem späteren Zeitpunkt darauf zurück. Dabei sollte nie eine bewusste Verängstigung stattfinden, sondern es soll lediglich auf mögliche Gefahren hingewiesen werden.
Notfallplan ausmachen
Zuletzt ist es wichtig, mit den Jugendlichen im Vorhinein einen Notfallplan zu erarbeiten: Was tun, wenn die letzte U-Bahn schon gefahren ist, was wenn der Alkoholkonsum einen sicheren Heimweg „verunmöglicht“, was wenn am ersten Date zu sexuellen Übergriffen kommt? Neben „Reservegeld“ für ein Taxi ist es hier von Vorteil das Netzwerk des eigenen Kindes zu kennen und mit den wichtigsten Peers namentlich bekannt zu sein. Die Telefonnummer des besten Freundes oder der besten Freundin hat schon vielen Eltern eine schlaflose Nacht gerettet. Auch der Austausch mit Eltern der Freund*innen des Kindes kann helfen: Welche Regeln gelten für die Freund*innen, und was tun, wenn eines der Kinder nicht erreichbar ist? Jede*r Jugendliche sollte die wichtigsten Notrufnummern (zumindest 112) kennen und wissen, wie und wo sie vertrauliche Beratung bekommen (zB Rat auf Draht 147, Frauennotruf). Auch die (gemeinsame) Teilnahme an einem Selbstverteidigungs- oder Sicherheitsworkshop kann spannend sein und manche Gefährdungssituationen kann eine außerfamiliäre Person auch neutraler und damit klarer und glaubwürdiger vermitteln.
Jugendrechte vermitteln
Wie schon erwähnt ist es sehr fordernd, das Verhältnis von notwendigen Freiräumen und sicheren Strukturen im gemeinsamen Leben mit Jugendlichen abzuwägen. Einen guten Rahmen bilden die österreichischen Jugendrechte, die ganz einfach auf der Website des Bundes unter dem Stichwort „Jugendrechte“ zu finden sind. Eine offene Haltung zu den Argumenten, Bedürfnissen und Vorstellungen der Jugendlichen hilft ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Vereinbarungen zu treffen. Zuletzt braucht es den Mut, selbst schwierige Themen anzusprechen und sich selbst zu informieren und hilfreiches Wissen anzueignen oder bei Überforderung professionelle Unterstützung zu suchen. Auch die Anregung von Workshops zur Gewalt- und Suchtprävention oder Sexualpädagogik in der Schule des Kindes kann helfen. Solche Anlässe können dann ebenfalls genutzt werden, um in ein Gespräch mit den Jugendlichen zu kommen.
Mutig und risikobewusst sein
Risikosituationen können nie ausgeschlossen werden, allerdings kann ihnen präventiv begegnet werden: Selbstvertrauen, eine sichere Beziehung zu Eltern oder anderen Bezugspersonen und Informationsvermittlung sind hier entscheidende Bausteine. Eltern wie Jugendliche brauchen auch Mut – die Erwachsenen den Mut Loszulassen und gleichzeitig mit ehrlichem, vertrauensvollen und offenen Interesse verfügbar zu bleiben, und die Jugendlichen den Mut selbstständig zu werden und Freiheit risikobewusst zu nützen. Damit ausgestattet, ist das Erfahrung-Sammeln, Grenzen-Austesten und Ausprobieren für Jugendliche deutlich sicherer!
Christoph Humnig – Präventionsmitarbeiter die möwe
Hedwig Wölfl –Leiterin die möwe
Kommentare
Magda Klein
Danke für den tollen Artikel! Besser hätte man/frau es nicht formulieren können!