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Pflege = Beziehung

von Mag.a Michaela Schernthanner

Elternbildung
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"Süßer, süßer, süßer kleiner Kerl!" – Mein fünf Monate alter Sohn liegt nackt, nur mit einer Stoffwindel leicht zugedeckt, auf der Wickelkommode. Ich wiederhole meine Worte, erst schneller, dann wieder langsamer, erst in niedriger Tonlage, dann höher werdend; dabei bewege ich meinen Kopf aus größerer Entfernung auf ihn zu und küsse ihn zum Schluss auf die Nasenspitze – immer und immer wieder. Mein Baby kann gar nicht genug davon bekommen, strampelt mit den Ärmchen und Beinchen, lacht und gurrt dabei.

Mehrmals am Tag erlebt das Baby, während es gebadet, gewickelt, an- und ausgezogen wird, dass es im Zentrum der Aufmerksamkeit der Mutter steht. Die Zuwendung, der Blickkontakt, das Sprechen gelten nur ihm, es muss sich gar nicht erst die Aufmerksamkeit der Mutter erkämpfen. Pflege befriedigt nicht nur körperliche, sondern auch seelische Bedürfnisse des Babys. Manchmal kommt dem psychischen Wohlbefinden des Kindes dabei sogar mehr Bedeutung zu, wenn man sein Baby z.B. täglich badet, obwohl man weiß, dass das für die Hygiene nicht notwendig ist, aber dem Baby das Plantschen im Wasser so viel Spaß macht.

Nach der Geburt muss sich das Neugeborene erst an eine neue Lebenssituation anpassen, es muss sich an die kalte, helle, laute Umwelt gewöhnen, daran, aktiv Nahrung zu sich zu nehmen und zu verdauen – im Gegensatz zur bedürfnislosen, warmen, licht- und geräuschgedämpften Situation im Mutterleib. Es kommt mit vielen Kompetenzen zur Welt, es kennt z.B. die Stimme und den Geruch der Mutter. Das wichtigste Sinnesorgan für das Neugeborene ist aber die Haut, weshalb besonders Berührungsempfindungen und Hautkontakt, wie sie bei der Pflege ständig stattfinden, wesentlicher Bestandteil zur Beziehungsaufnahme zwischen Mutter und Kind sind. Außerdem weiß man, dass Hautstimulation nachweislich die geistige und körperliche Entwicklung fördert.

Besonders am Anfang ist das gegenseitige Kennlernen zwischen Mutter und Kind wichtig; Streicheln, Massieren und Schmusen fördern ganz selbstverständlich diese Kontaktaufnahme. Die Mutter passt sich dabei ganz automatisch und intuitiv an den Säugling an: Sie setzt in der Kommunikation intensiv ihre Mimik und Gestik ein, hält den optimalen Abstand zum Gesicht des Kindes ein, damit das Baby sie besser fixieren kann, benützt eine hohe Stimmlage, häufige Wiederholungen und einfache Laute und Wörter. Das Baby hört auf den Klang der Stimme, es beobachtet die Mutter, es lernt, Zusammenhänge herzustellen. Mutter und Kind stellen sich aufeinander ein und lernen so, die Signale des anderen richtig zu deuten. Z.B. wenn die Mutter dem Kind den Schlafanzug zeigt und benennt, bevor sie ihn anzieht, stellt das Kind den Zusammenhang her: "Das ist der Schlafanzug, den bekomme ich jetzt angezogen, dann kommt noch unser Abendritual mit Gute-Nacht-Lied und Kuscheln, dann ist Zeit zum Schlafen." Kommunikation entwickelt sich durch Wechselseitigkeit: Die Eltern kommentieren ihr Tun; das Kind lernt zu verstehen. Es wird durch den Austausch mit seinen engsten Bezugspersonen auch zu Bewegungen, Lallen etc. motiviert und kann sich dadurch seiner Umwelt immer besser verständlich machen. Mutter und Kind treten dabei in einen Dialog, und das Baby bemerkt, dass es die Reaktionen des Gegenübers beeinflussen kann und wird dann auch immer mehr zur Kooperation bereit sein, wenn es fühlt, dass die Mutter auf es eingeht. Jedesmal beim Wickeln oder Baden macht das Baby also wichtige soziale Erfahrungen. Indem die Mutter ihren liebevollen Respekt für das Kind zum Ausdruck bringt, wenn sie mit ihm spricht, während sie es pflegt, fühlt sich das Baby gut aufgehoben und geliebt. Konstanz, Rituale und gleiche Abläufe schaffen Sicherheit und Geborgenheit. Dazu zählen auch ein eindeutiger Anfang und Abschluss, die dem Kind Orientierung im Alltag vermitteln.

Der Säugling nimmt sich und die Umwelt über Körperempfindungen wahr. Positive und negative Erfahrungen schreiben sich in sein Selbstbild ein. Durch Körperempfindungen verschiedenster Art (wenn das Baby beim Baden mit dem Waschlappen gewaschen, mit der Lotion eingecremt, mit dem Feuchttuch gereinigt wird, wenn es sich selbst berührt etc.) entsteht sein Körperbewusstsein. Dieses entwickelt sich aus Erfahrungen mit dem Körper und über Rückmeldungen aus der Umwelt. Wenn das Kind ein Wissen über seinen körperlichen Aktionsrahmen, die grob- und feinmotorischen Möglichkeiten hat, damit seinen Handlungsspielraum erkennt und erlebt und somit weiß, wer es ist und was es kann, so ist das die beste Voraussetzung für die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins.

Beim Spiel mit dem Kind, das in die Pflege integriert wird und gerade da oft ganz bestimmten Ritualen folgt, wird die Koordination von Bewegungsabläufen und die Geschicklichkeit beim Greifen trainiert; visuelle und akustische Leistungen werden verbessert, indem der Säugling z.B. die Mutter fixiert und die Bürste oder die Windel auf einen Blick erkennt, genau hinhört, wenn die Mutter die gleichen Wörter für die gleichen Abfolgen und Dinge nennt, und Melodien oder Rhythmen von bestimmtem Liedern oder Reimen wieder erkennt.

Wichtig ist auch zu bemerken und zu tolerieren, wenn das Kind genug hat mit dem Spielen, dem Körperkontakt und dem Schmusen. Das Kind lernt so, Nähe und Distanz zu regulieren; und indem die Eltern adäquat darauf reagieren, kann das Kind seine Wünsche immer besser und genauer ausdrücken.

Pflege sollte also nicht als tägliche Prozedur betrachtet werden, die man möglichst schnell abhandeln muss, um dann zum "eigentlichen Spiel" zu kommen, sondern als Kommunikation und Beziehungs-"Pflege" begriffen werden. Gerade durch schöne Rituale, die in Alltäglichkeiten wie der Pflege eingeflochten sind, kann sich die Beziehung zwischen der Mutter (und in weiterer Folge natürlich auch dem Vater) und dem Kind von einer einseitigen, für den Säugling lebensnotwendigen Versorgung, zu einer lebenslang andauernden, innigen Liebesbeziehung entwickeln.

Inzwischen ist mein kleiner süßer Kerl gewickelt und angezogen. Aber er weiß, jetzt kommt noch unser Abschluss: "Listen – uhahuh – do you want to know a secret – uhahuh" singe ich den alten Beatles-Schlager, kitzle ihn auf den Bauch, während er sich köstlichst über meine Sangeskünste amüsiert und bin froh, dass mich niemand hört außer meinem Baby, das vermutlich alles, was ich so falsch daher singe, lustig findet!


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