Ja, liebe Mutter, lieber Vater – jetzt ist es soweit: Dein Kind macht sich auf den Weg in die Selbständigkeit, in ein eigenes Leben, zu dem du nur mehr beschränkt Zugang haben wirst. Es bedeutet auch das Ende von elterlicher Kontrolle und Verlust des Gesamtüberblicks über das Erleben, Tun und Handeln unsere Kinder. Wir wandeln uns vom Mittelpunkt zum Zaungast und die Frage taucht auf: „Wovor glaube ich, dass ich mein Kind noch beschützen muss?“
Hier lade ich zur Inventur ein: Was habe ich als Elternteil für Bilder im Kopf, die meine Angst schüren? Ist meine Sorge begründet, oder ist sie nur durch meine Fantasien geschürt? Ist mein Kind tatsächlich in realer Gefahr (sehe ich, wie es sich immer mehr zurückzieht, schulische Leistungen nachlassen, sich körperliche Symptome zeigen), die angesprochen und gebannt werden muss? Oder projiziere ich hier eigene Erfahrungen in eine mögliche Zukunft?
Der erste Schritt liegt also in meiner Selbstbefragung und der Selbstbewertung der Situation. Wenn ich mir hier als Elternteil nicht sicher bin, ist der Austausch mit dem anderen Elternteil (sofern vorhanden und verfügbar) sinnvoll, um mir schließlich die Fragen zu stellen: Kann ich meinem Kind vertrauen? Traue ich meinem Kind zu, Gefahren zu erkennen und mit dem „Leben da draußen“ umzugehen? Habe ich, haben wir, ausreichend Vorarbeit geleistet, damit unser Kind Situationen gut einschätzen und bewerten kann und unser Zuhause ein Ort ist, in dem es sich anvertrauen und reflektieren kann, wenn doch einmal etwas schiefgeht oder etwas passiert? Stelle ich mich hier immer wieder diesem inneren Prozess der Abklärung und Abwägung, heißt es irgendwann schließlich „Vetrauen, vertrauen, vertrauen.“, um hier den dänischen Familientherapeuten Jesper Juul zu zitieren.
Wir Eltern sind nun dafür verantwortlich, unsere Ängste zu bändigen und dafür Lösungen zu finden, ohne unsere Kinder zu zwingen, in unseren Angstbegrenzungen zu leben. Es ist einfach, die elterliche Macht hierfür zu missbrauchen indem ich etwas verbiete oder drohe: „Solange du hier wohnst bist du um 22:00 zu Hause!“ „Wenn du nicht um 22:00 zu Hause bist, ist dein Taschengeld gestrichen!“ Das ist maximal eine Einladung an Kinder ein Leben zu gestalten, das sie vor uns Eltern verbergen. Ebenso rate ich von subtilen Manipulationen, die dazu dienen, meine Kontrolle zu bewahren anstatt meine Angst zu bewältigen oder sich der Realität zu stellen, dass unsere Kinder zu uns gekommen sind, um wieder zu gehen. Eine Aussage wie: „Es macht mich schon sehr traurig, dass du mehr Zeit mit deinen Freunden verbringen willst, als mit mir!“ lässt gesunde Kinder eher den Abstand suchen. Weil all das dem dem Bedürfnis von Heranwachsenden widerspricht, einen sicheren Hafen in inneren stürmischen Zeiten zu haben, den sie bei Bedarf bedingungslos ansteuern können.
Was können also mögliche Lösungen sein?
In dieser Zeit der Ablösung ist ein reger Austausch und ein elterliches Dranbleiben im Sinne eines gemeinsamen Gestalten unerlässlich:“ Damit ich dich gut gehen lassen kann ist es mir wichtig zu wissen, wo du bist und mit wem du unterwegs bist!“
Ich lade Eltern ein, sich hier ihrer familiären Rahmenbedingungen klar zu werden und deutlich das zu benennen, was auch sie brauchen, damit sie dem Bedürfnis ihres Kindes nach Selbständigkeit nachkommen können: „Ich will, dass du immer mit einer Freundin nach Hause fährst. Ich will, dass du immer Geld für ein Taxi dabei hast. Ich will, dass du mich anrufst, wenn du in Not bist. Ich will nicht, dass du mit jemanden mitfährst, der betrunken ist. Ich will nicht, dass du Alkohol trinkst. Ich will wissen, wo du bist.“ Die mobile Standortbestimmung unserer Kinder über das Handy kann zum Beispiel Kindern eine Freiheit eröffnen und gleichzeitig ein Gefühl von Sicherheit in Eltern erzeugen. Hier geht es nicht um die innere Haltung: „Ich will dich kontrollieren!“ sondern darum: „Ich will wissen, wo du bist. Hier nehme ich meine elterliche Fürsorge wahr. So kann ich dich gut ziehen lassen!“
Auch wenn Kinder das Benennen unserer Grenzen als nervig empfinden, spüren sie so doch unser Dranbleiben und unsere Präsenz auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben.
Vor einer großen Herausforderung stehen wir als Eltern auch, wenn unsere Kinder unsere Rahmenbedingungen verletzen, sich nicht an Vereinbarungen halten. Die Lösung ist hier ein für beide Seiten Verständnis erzeugendes Gespräch zu führen, nachdem sich alle emotionale Wogen gelegt haben.
All dem müssen wir uns als Eltern stellen. Es sind die letzten Hürden auf den letzten Metern der Elternschaft. Gelingt es uns hier zugewandt uninteressiert zu bleiben auch wenn sich unsere Kinder als ablehnend und ausgrenzend präsentieren, dann erwartet uns hinter der Ziellinie eine neue Form von Beziehung zu unseren nun erwachsenen Kindern: Eine Beziehung auf Augenhöhe.
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