Es sind erschreckende Zahlen, die seit der Pandemie in Bezug auf die psychische Gesundheit der jungen Generation kursieren. 72 Prozent der jugendlichen Mädchen ab 14 Jahre weisen derzeit depressive Symptomatik auf, bei den Burschen sind es rund 40 Prozent. Fast jedes vierte Mädchen hat Suizidgedanken, ebenso 10 Prozent der Burschen. Auch Ängste, Stress, Schlafstörungen und problematischer Alkoholkonsum steigen nach wie vor stetig an, wie Zwischenergebnisse einer derzeit noch laufenden Umfrage der Donau-Universität Krems zeigen (Pieh et al. 2021, 2022). Auch im niedergelassenen psychotherapeutischen Bereich und auf den mittlerweile völlig überfüllten Kinder- und Jugendpsychiatrien lässt sich diese Entwicklung seit längerem beobachten.
Von einer „verlorenen Generation“ und irreparablen Schäden ist in den Medien häufig die Rede – aber stimmt das? Kann das, was in den Pandemiejahren versäumt wurde, wirklich nicht mehr nachgeholt werden? Fest steht, dass Kinder und Jugendliche von Jahr zu Jahr enorme Entwicklungsleistungen erbringen müssen, weit mehr, als das im Erwachsenenalter der Fall ist. Durch die Pandemie wurden sie in eine Art Stand-by-Modus gezwungen und in vielen Aspekten ihrer Entwicklung gestoppt. Persönlicher Austausch und das Einfinden im System des Klassenverbands, der Ausgleich zu schwierigen Familienverhältnissen, das erste gemeinsame Fortgehen mit Freunden, die erste Liebesbeziehung, Maturaball und Maturareise – auf all das mussten viele Jugendliche in den vergangenen zweieinhalb Jahren verzichten.
Das Versäumnis dieser prägenden Erlebnisse und den damit einhergehenden Entwicklungsschritten hat ein Teil der jungen Generation gut gemeistert, ein weiteres Drittel ist mithilfe von psychotherapeutischer oder psychologischer Unterstützung bereits auf einem guten Weg. Doch bei einem Drittel ist langfristig mit einem erhöhten Risiko für Depressionen, Angststörungen, erhöhtem Suchtpotenzial und Essstörungen zu rechnen, auch ein Anstieg des Aggressionspotenzials ist bereits jetzt spürbar. Verloren ist dieser Teil der Jugendlichen aber mit Sicherheit nicht! Psychotherapie und klinisch-psychologische sowie gesundheitspsychologische Behandlungen sind erwiesenermaßen wirksame Mittel gegen derartige Symptome und Erkrankungen.
Und da schließt sich der Kreis auch wieder: Denn fast die Hälfte der von der Donau-Uni Krems befragten Jugendlichen wünscht sich explizit Unterstützung, um ihr psychisches Wohlbefinden wieder zu verbessern. Diese Unterstützung können und müssen wir jetzt möglich machen – und zwar im Rahmen von Projekten wie „Gesund aus der Krise“ und auch im privaten Bereich, indem wir den Jugendlichen vor Augen führen, was sie durch die Pandemie alles gelernt und wie sehr sie in ihrem jungen Alter bereits an dieser Herausforderung gewachsen sind. An die Stelle all der Versäumnisse sollten in unserer Kommunikation all die beeindruckenden Leistungen der jungen Menschen treten. Eine positiv abgeschlossene Schulstufe – trotz Distance-Learning, ein Berufswunsch, der sich entwickelt hat – trotz all der Negativschlagzeilen rund um Wirtschaftslage und Kurzarbeit, ein neues Hobby, gelesene Bücher, das virtuelle In-Kontakt-Bleiben mit Freunden, die gewissenhafte Versorgung eines Haustiers, das Maskentragen und Aufeinander Achten – die Liste lässt sich beliebig lange weiterführen!
Denn es ist in der Tat beachtlich, was gerade die jungen Menschen in den vergangenen zweieinhalb Jahren trotz der belastenden Gesamtsituation geleistet haben – dafür gebührt ihnen Anerkennung. Und diese Anerkennung für alle großen und auch kleinen Leistungen kann ihnen helfen, sich selbst nicht als verlorene Generation zu sehen, sondern als die Generation, die Unglaubliches geschafft hat.
Wahrlich Unglaubliches haben auch die Eltern geschafft, und auch bei ihnen haben die Belastungen der Pandemiezeit Spuren hinterlassen. Eigene Leistungen der Eltern und ihr Wohlbefinden sollten für sie einen ebenso hohen Stellenwert haben, wie Leistungen und Wohl ihrer Kinder. Die kostenlose fit4SCHOOL Beratungshotline des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie (ÖBVP) wird von hochqualifizierten Psychotherapeut:innen betreut und wendet sich mit ihrem Angebot nicht nur an Schüler:innen und Lehrer:innen sondern auch an Eltern. Die anonyme und vertrauliche psychotherapeutische Beratung kann werktags von 14 bis 15 Uhr unter der Nummer 05-125 617 34 in Anspruch genommen werden.
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