Wenn die Geburt eines Kindes ein Paar zu Eltern macht, die Frau zur Mutter, den Mann zum Vater und alle zusammen zur Familie, so verändert sich plötzlich alles. Viele meiner KlientInnen berichten, dass Heiraten nichts und Kinder-bekommen alles verändert hätte. Irgendwie leicht nachvollziehbar, wo doch ein neuer Mensch das Gefüge erweitert. Noch dazu ein sehr kleiner Mensch, der in den ersten Monaten total und später immer noch weitgehend und zwar jahrelang abhängig von der Gunst der beiden Erwachsenen ist!
Wenn ich junge Mütter frage: „wer ist der wichtigste Mensch in deinem Leben?“, dann antworten sie in der Regel wie aus der Pistole geschossen: „Meine Kinder!“ Und wenn ich dann sage, sie müssten sich auf eine einzige Person beschränken, wird’s haarig. Das ist so wie die quälende Frage, wer denn im Flugzeug im Fall eines Druckverlustes zuerst die Sauerstoffmaske aufgesetzt bekommen soll. Das Erstgeborene, oder doch der Zweite? Wer gut aufgepasst hat beim letzten Flug, weiß, dass die Sauerstoffmaske IMMER zuerst bei einem SELBST angelegt werden muss, bevor man jemand anders hilfreich zur Seite stehen kann! Das entspricht übrigens auch dem obersten Sanitäterprinzip: Selbstschutz vor Fremdschutz!
Natürlich haben wir Mütter den dringenden Instinkt unsere Brut zu schützen und damit den Fortbestand des Lebens zu sichern. Und weil Säbelzahntiger schon länger ausgestorben sind, sprechen wir heutzutage von Bedrohungen im Alltag wie Überforderung durch zu viele Aufgaben, Finanzielle Belastung, gesundheitliche Probleme, soziale Unstimmigkeiten, zu hohe Erwartungen und Vorstellungen bezüglich Erziehung, Beziehung, Job und Haushalt…. Ein bunter Salat aus mehreren dieser oder anderer Faktoren kann schon mächtig stressen. Wenn durch die Mutterschaft nun auch noch die Fähigkeit, auf sich selbst gut aufzupassen gelitten hat, wird’s eng! Doch haben unsere Nachkommen wenig davon, wenn wir selbst so an Erschöpfung leiden, dass es am Ende wieder unsere Kinder auszubaden haben. Im Gegenteil, die Kinder fangen dann an zu „kooperieren“ indem sie Symptome setzen, die uns Erwachsene darauf aufmerksam machen sollen, gut für uns selbst zu sorgen – auf dass wir den Kindern als Ressource erhalten bleiben! Die Symptome dazu sind vielfältig und oftmals nicht klar erkennbar, d.h. sie werden von vielen Eltern als zusätzliche Quärele erlebt!
Wer also muss die wichtigste Person in Deinem Leben sein? ICH
Und wer kommt als nächstes?
Nein, es sind immer noch nicht die Kinder. Sondern Dein Partner, sofern Du noch einen hast. Die meisten Elternpaare trennen sich lt. Statistik in den ersten beiden Lebensjahren des gemeinsamen Kindes. Da fragt man sich, woran das liegt?
Es liegt daran, dass sowohl die Mütter sich selbst in der Mutterschaft verlieren, wie auch die Väter in der Vaterschaft – wie auch immer sich das gestaltet. Manche vertiefen sich extrem in ihre Versorgerrolle und verschwinden so aus dem Blickfeld für den PartnerIn. Dann steigt das Unverständnis für die jeweils anderen Prioritäten, Paarzeit findet so gut wie nicht mehr statt,…ein Teufelskreis.
An zweiter Stelle, gleich nach der Selbstfürsorge, die auch bedeutet, die eigene Integrität zu wahren – notfalls diese überhaupt erst kennenlernen und dann zu schützen – empfiehlt es sich die Partnerschaft zu stellen. Immerhin ist diese Paarbeziehung der Boden, auf dem es überhaupt erst möglich war, eine Familie zu gründen!
„Hütet Eure Paarbeziehung, als wäre sie Euer erstgeborenes Kind!“ (Jesper Juul)
Ohne diese Paarbeziehung gäbe es keine Familie. Kinder krönen unsere Liebe füreinander, heißt es. Doch so manche Liebesbeziehung wird entthront, so schnell können manche Paare gar nicht schauen.
Wo vorher viel Zärtlichkeit, Zuwendung, Aufmerksamkeit und Verständnis war, mit regelmäßigen romantischen Momenten, ist plötzlich nur noch Babybrei, Windeleimer, Schlaflosigkeit und Streit darüber, wer was macht und wer ärmer dabei ist.
Mit kleinen Kindern passiert „Romantik“ definitiv nicht mehr einfach so. Jetzt heißt es für eine ganze Weile, auf „geplante Romantik“ zu bauen, so unromantisch das auch klingt. Das kann ein Wochenende in der Therme zu zweit sein, doch das ist voraussichtlich nicht so oft machbar. Darum empfiehlt es sich, kleinere Einheiten von Paarzeiten zu schaffen, die auch im Alltag leichter einzubauen sind, wie z.B. ein Glas Rotwein auf dem Balkon, eine Massage und vor allem (ganz heißer Tipp) miteinander Reden, Reden, Reden!
Ich empfehle beim Reden auch noch einmal zu unterscheiden, ob man auf der Team-Ebene miteinander redet, wo viele kleine Alltags-To-Do´s besprochen und geregelt werden, oder ob man als Liebespaar miteinander redet, das sich für die Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse des anderen interessiert!
So, hier kommt also das empfohlene Ranking der Fürsorge:
- ICH
- Partnerschaft
- Kinder
- Alles andere, wie z.B. Haushalt, Arbeit, Verwandtschaft,…
Manchen KlientInnen hilft es, sich dieses Ranking zu Hause aufzuhängen, um nicht immer wieder den Fokus zu verlieren, was Priorität hat.
Unsere Kinder brauchen ihre Eltern. Und zwar Eltern, denen es gut geht – für sich selbst und in der Partnerschaft. Vergiss nicht: Alles, was wir unseren Kindern vorleben, dient ihnen als Vorbild, im Guten wie im schlechten. Von uns lernen unsere Kinder, wie Selbstfürsorge geht, wie Partnerschaft gelebt werden kann, wie Konflikte gelöst werden..
Kinder brauchen keine perfekten Eltern, sondern echte Menschen mit Ecken und Kanten, die in ihrer Kraft sind und die Verantwortung tragen. Damit die Kinder entlastet sind und Kinder sein dürfen, die lernen, wie ein selbstbestimmtes, gleichwürdiges Leben gelebt werden kann. Deshalb:
Geht’s den Eltern gut, geht’s den Kindern gut!
Linda Syllaba
1971 in Wien geboren, verheiratet und Mutter zweier Söhne, Dipl. system. Coach, familylab-Familienberaterin, Psychologische Beraterin, Aufstellerin, Fachbuch-Autorin, u.a. „Die Schimpf-Diät – in 7 Schritten zu einer gelassenen Eltern-Kind-Beziehung“, Beltz Verlag (Sept. 2019)
2009 gründete sie www.beziehungshaus.at, ihr liegt Persönlichkeitsentwicklung und beziehungsorientierter Umgang am Herzen. Sie engagiert sich für Eltern, Paare und Familien, die miteinander und aneinander wachsen wollen. Dabei sind Selbstfürsorge und Selbstwertgefühl ihre besonderen Anliegen.
Seit 2016 arbeitet sie mit der erfolgreichen Elternbloggerin Daniela Gaigg, www.diekleinebotin.at, im Projekt „MAMA-Coaching – für dich da“ zusammen. In dieser Kooperation sind unzählige Podcasts, Videos, E-Books, Blogposts und nun ein gemeinsames Buch im Beltz-Verlag erschienen.
Ihr zweites berufliches Schwerpunkt-Thema ist Karrierecoaching.
Iris van den Hoeven
Erziehungswissenschaftlerin, Referentin, Trainerin und Bloggerin. Sie bietet für Eltern und PädagogInnen Seminare, Workshops und Vorträge sowie auf ihrem Blog Blickpunkt Erziehung und Facebook berührende und unterhaltsame Denkimpulse zu Themen der liebevollen und gewaltfreien Entwicklung der kindlichen Entwicklung an. Zudem arbeitet sie als Autorin auf meinefamilie.at und ist Vorstandsmitglied beim Österreichischen Kinderschutzbund und dem Verein Family Support – Gemeinsam für ein liebevolles Miteinander.
Website: www.blickpunkt-erziehung.at
Stressfreier Familienalltag
Dieser Beitrag wird spannend, denn er beginnt schon mit einer paradoxen Überschrift. Ein (Familien-)Leben ohne Stress ist nicht nur kaum erstrebenswert, sondern im herkömmlichen Sinne schlichtweg auch gar nicht möglich.
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