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Das Zusammenleben von gehörlosen Eltern und hörenden Kindern

von Marion Kovacs

Ich bin als gehörloses Kind in einer hörenden Familie aufgewachsen und kenne die hörende Welt gut. Mein Mann und ich sind gehörlos und haben hörende Kinder. Unsere Familiensituation ist also genau umgekehrt. Ich möchte hier von meinen Erfahrungen und Erlebnissen, die mir immer wieder passieren, erzählen. Hörende aber auch gehörlose Eltern sollen Einblick in ein Familienleben innerhalb zweier Welten bekommen. Wichtig ist es mir, dass auch Gehörlose verstehen was in dem Begriff „CODA“ steckt.

CODA

CODA ist eine englische Abkürzung welche bedeutet: Children of Deaf Adults (=Kinder gehörloser Eltern). CODAs wachsen in zwei unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und Welten auf. In ihren Familien und der Gehörlosengemeinschaft wird in Gebärdensprache kommuniziert. Innerhalb der Gehörlosengemeinschaft existieren eigene Sitten und soziale Aspekte, welche sich stark von der hörenden Welt unterscheiden.
CODAs sind verschieden. Verschieden im Beherrschen der Gebärdensprache und im Umgang mit den zwei Welten, der Welt der Hörenden und der Welt der Gehörlosen. Manche CODAs fühlen sich der Gehörlosengemeinschaft  mehr zugehörig und manche weniger. Man muss sich als Elternteil bewusst sein, dass diese Kinder in beiden Welten leben und dieses Erleben auch schwierig für Kinder sein kann. In einer gehörlosen Familie wird beispielsweise keine Rücksicht darauf genommen wie leise oder laut eine Kastentür zugeschlagen wird – weil Gehörlose das nicht wahrnehmen. Das hörende Kind lernt aber in der hörenden Welt, dass Hörende darauf bedacht sind eine Kastentür möglichst lautlos zu schließen um keinen Mitmenschen zu erschrecken oder den Eindruck von Wut oder Zorn zu erwecken.
Es gibt CODAs, die später Gebärdensprachdolmetscher/innen oder Sozialarbeiter/innen werden, aber auch hörende Kinder von Gehörlosen, die beruflich etwas ganz anderes machen und sich zu 100 Prozent von der gehörlosen Welt abgrenzen. Diese können sich meist nicht mit beiden Welten anfreunden und beherrschen oft weniger gut die Gebärdensprache.
Meine Kinder und Dolmetschen? Nein danke!
Schön öfters hatten einige Personen die Idee, dass meine hörenden Kinder doch meine Dolmetscher/innen werden könnten und zum Beispiel Telefonate und Arzttermine für mich übersetzen. Wenn ich solche Vorschläge höre, werde ich immer wütend, denn das lehne ich strikt ab! Schließlich sollen meine Kinder eine unbeschwerte Kindheit erleben. Ich bin die Mama für meine Kinder und werde immer für sie da sein und nicht umgekehrt. Wenn Kinder für ihre Eltern dolmetschen müssen, dann bedeutet das eine zu große Belastung für sie. Ihre Kindheit würde früher beendet sein und sie würden sich dann automatisch verantwortlich fühlen.
Für mich ist dieses Für-die-Eltern-Dolmetschen ein absolutes No-Go.  
Natürlich kann es passieren, dass eines meiner Kinder mir kurz aushilft, wenn ich das Gesagte der Freunde nach mehrmaligem Wiederholen und Nachfragen überhaupt nicht verstanden habe. Oder wird der Oma mal ein lieber Gruß von mir während eines Telefonats ausgerichtet.
Aber für mich extra da und dort anzurufen um dann beim Arzt, bei der Bank oder sonst wo zu dolmetschen käme für mich nie in Frage. Ich kann dank der modernen Technik und diverser Serviceangebote für Gehörlose meine Terminvereinbarungen telefonisch selbst erledigen. Heutzutage kann man so vieles per Email abwickeln.
Gott sei Dank haben wir auch berufstätige Dolmetscher/innen, die ihre Arbeit für uns machen. Die Inanspruchnahme der Dolmetschleistungen bei Ärzten, im Beruf oder bei Ämtern kostet mich nichts, da die Dolmetschkosten im beruflichen und privaten Bereich (fast immer) bezahlt werden.
Meine Kinder sollen mich respektieren sich nie für mich schämen müssen bzw. niemals denken ich wäre dumm. Ich möchte für SIE da sein, ihnen die Welt erklären und für Ratschläge und Tipps zur Seite stehen und nicht umgekehrt. Leider kommt es auch heute noch immer wieder vor, dass Gehörlose ihre hörenden Kinder zum eigenen Elternsprechtag mitnehmen zum Dolmetschen. Oder übernehmen die Kinder unbewusst schon sehr früh Verantwortung indem Bankgespräche oder Vertragsabwicklungen gedolmetscht werden. Daher meine Bitte an alle Gehörlosen: Lasst euren Kindern ihre Kindheit, sie werden ohnehin so schnell erwachsen. Es gibt für uns Gehörlose genügend Angebote und Möglichkeiten, da müssen wir wirklich nicht unsere Kinder mit Erwachsenenangelegenheiten belästigen.
Eine Familie mit hörenden Kindern und gehörlosen Eltern – in der Gehörlosenwelt eigentlich der Normalfall. Aber für Hörende immer wieder faszinierend, dass Kinder gleichzeitig mit Laut- und Gebärdensprache aufwachsen. Vorbei sind (hoffentlich) die Zeiten, in denen CODAs sich für ihre Eltern schämen. Im Gegenteil, sie können stolz sein auf ihr Leben mit zwei Sprachen und in zwei Kulturen.
Tipps für hörende und gehörlose Menschen:

  • Bitte CODA-Kinder nicht als Dolmetscher/innen verwenden!
  • CODAs so akzeptieren wie sie sind – egal ob mit viel oder keiner Gebärdensprachkompetenz und Zugehörigkeitsgefühl zu der einen oder anderen Welt
  • Fragen vermeiden, die CODA-Kinder verunsichern, z.B. „Wie hast du Deutsch/Sprechen gelernt?“, „Kannst du der Mama bitte helfen?“
  • Verantwortung nicht an CODAs übergeben (absichtlich oder unabsichtlich)
  • CODAs kennen beide Welten, aber sie sollen als Kinder nicht zwischen den Welten vermitteln!
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