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Windelfrei – eine wunderbare Möglichkeit auf das Ausscheidungsbedürfnis des Babys einzugehen

von Lini Lindmayer

Elternbildung
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Kaum jemand würde die Tatsache in Frage stellen, dass ein Baby Bauchweh hat, dieses spürt und durch Weinen oder andere Äußerungen/Zeichen des Unwohlseins zum Ausdruck bringt. Ebenso wenig würde jemand die Tatsache in Frage stellen, dass ein Baby seinen Hunger spürt und diesen zeigen kann. Dass ein Baby aber sein Ausscheidungsbedürfnis wahrnimmt und dieses zum Ausdruck bringen kann, wird in unserer Gesellschaft nicht nur in Frage gestellt, sondern gar als absolut unmöglich dargestellt. Dabei ist das ein Widerspruch an sich. Denn warum kann ein Baby Luft im Bauch ebenso spüren wie einen leeren Magen, einen vollen Darm oder eine volle Blase aber nicht?

Klar ist, das ein Baby definitiv noch nicht differenziert „sagen“ kann, was sein Unwohlsein hervorruft. Bei keinem Bedürfnis. Denn um differenziert zeigen zu können, was es wirklich braucht, bedarf es einiger Jahre an Entwicklung, wie auch die einfühlsame und achtsame Begleitung Erwachsener, die hier benennen, erfüllen (solange es noch nicht selbst geschafft wird) und später dann anleiten.
Klar sollte uns aber auch sein, dass ein Baby fühlt und wahrnimmt. Es spürt Unwohlsein ebenso wie Wohlbefinden und es wäre unnatürlich anzunehmen, dass es diese nicht in irgendeiner Art und Weise zum Ausdruck bringen kann. Neben dem Weinen zeigt ein Baby zunehmende Anspannung und Bedürfnisse durch gesteigerte körperliche Aktivität, wie auch Mimik und Lautäußerungen.

Was Eltern über das Thema Sauberkeit bzw. Sauberkeitserziehung erfahren ist in erster Linie, dass Babys zu einer Kontrolle des Ausscheidungsbedürfnisses, wie auch der Schließmuskulatur noch nicht fähig seien und erst ab einem gewissen Alter erlernen könnten, mit diesem Bedürfnis umzugehen. Sie erfahren heute zudem, dass sie das gewickelte Kleinkind nicht unter Druck setzen sollten und es vollkommen normal sei, wenn ein Kind erst mit vier Jahren tagsüber und mit fünf Jahren nachts seine Blase kontrollieren könnte. Durch oftmals sehr widersprüchliche und wenig einleuchtende Erläuterungen wird den Eltern klar gemacht, dass sie vom Kind vor einem bestimmten Alter in puncto Sauberkeit nichts zu erwarten hätten.

Diese Aussagen und Erläuterungen widersprechen jedoch der Tatsache, dass Babys rund um den Globus ohne Windel aufwachsen – genau genommen sind es ca. 80% – und dabei weder ständig nasse Hosen haben, noch unter permanenter Beobachtung eines Familienmitglieds stehen. Auch handelt es sich nicht nur um Babys die die überwiegende Zeit getragen, in warmen Ländern geboren werden oder in einem großen Familienverband leben. Ganz im Gegenteil, das Bewusstsein, das Windeln maximal ein Hilfsmittel nicht aber eine Notwendigkeit darstellen, ist in vielen Teilen der Erde nach wie vor vorhanden und wird dementsprechend gelebt.

Schaut man sich die Entwicklung des Menschen in den ersten Lebensjahren an, so verwundert es wenig, dass ein Kind welches drei oder vier Jahre lang gewickelt wurde und kein Eingehen auf sein Ausscheidungsbedürfnis erlebt hat, sich recht schwer damit tut, dieses Gewohnheit abzulegen. Das Bewusstsein, sich auch um sein Ausscheidungsbedürfnis zu kümmern, ist nicht vorhanden.
Anders als so manch anderer Experte bin ich nicht davon überzeugt, das diese Entwicklung dann schon irgendwann von selbst kommt oder eine frühe Achtsamkeit dem Bedürfnis gegenüber das Kind unter Druck setzt. Wichtig sei an dieser Stelle aber durchaus schon einmal anzumerken, dass ein Eingehen auf das Ausscheidungsbedürfnis eines kleinen Menschen und das behutsame Begleiten dieses Bedürfnisses nichts mit verfrühter Sauberkeitserziehung oder gar Drill zu tun haben. Langes Töpfchensitzen wie auch Lob und Tadel wird man bei dieser Art der Begleitung vergeblich suchen. Denn defacto geht es nicht darum, das Kind möglichst früh sauber und selbstständig zu bekommen, sondern ausschließlich darum, auf ein Bedürfnis angemessen zu reagieren.

Weder Training noch ErziehungElternbildung

Was sich rund um den Globus in der überwiegenden Windelfreiheit der Babys und der Art und Weise wie ihnen ihr sauber sein ermöglicht wird zeigt ist, dass Babys sehr wohl fähig sind ihr Ausscheidungsbedürfnis wahrzunehmen, ihren Schließmuskel zu kontrollieren und ihr Bedürfnis – wenn nötig – zu signalisieren.

Abgesehen davon, dass mangelnde Schließmuskelkontrolle im Grunde Inkontinenz bedeutet, von der wir bei Babys definitiv nicht sprechen können, ist es viel öfters so, das Babys sich recht schwer damit tun, in die Entspannung zu finden um Ausscheiden zu können. Einfach erklärt liegt das daran, das eine volle Blase wie auch ein voller Darm Unwohlsein im Baby hervorrufen und zu Spannung im Körper führen. Gleichzeitig widerspricht die mangelnde Schließmuskelkontrolle und die fehlende Fähigkeit das Bedürfnis wahrzunehmen unter anderem der offensichtlichen Unruhe des Babys bei einem dringenden Bedürfnis, dem offentlichtlichen Innehalten beim Ausscheiden, wenn es durch ein lautes Geräusch abgelenkt wurde zum Beispiel, der oft sehr deutlichen Anstrengung (nicht selten mit einhergehendem Weinen und Jammern) beim Stuhlgang oder dem „Warten“ darauf, dass die Windel geöffnet wird bzw. (was vor allem bei älteren Babys vorkommt) das bewusste Verstecken wenn ausgeschieden wird.

Davon auszugehen, das ein Baby zwar fähig sein soll verschiedene Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen, gerade aber sein Ausscheidungsbedürfnis nicht wahrnehmen oder kontrollieren können soll, erscheint mit nach all den Jahren theoretischer wie auch praktischer Auseinandersetzung mit der Thematik wie auch der Entwicklung kleiner Menschen mehr als unlogisch. Was ich in den letzten 20 Jahren nicht nur bei unseren 9 windelfrei aufgewachsenen und aufwachsenden Kindern sondern auch durch die Begleitung zahlreicher Familien erlebt habe, ist etwas gänzlich anderes. Es ist das Bild von Babys, die nicht nur sehr deutlich signalisieren können, dass sie u.a. ein Ausscheidungsbedürfnis haben, sondern auch zuwarten können, wenn sie einmal erfahren haben, das auf ihr Bedürfnis reagiert und eingegangen wird. Die Idee „Sauberkeit müsse einem Baby erst anerzogen oder antrainiert werden und würde einen gewissen Reifungsprozess voraussetzen“ wird mit bei all den Beobachtungen im Grunde ad absurdum geführt. Denn eine Fähigkeit, die bereits vorhanden und angeboren ist – Bedürfnisse und Vorgänge im Körper zu spüren und die damit einhergehende Anspannung zu zeigen (was nicht zuletzt auch die Grundlage bedürfnisorientierter Begleitung ist) – braucht nicht erst antrainiert oder anerzogen werden.

Zum besseren Verständnis ist es an dieser Stelle wichtig zu erläutern, dass wir als Menschen relativ unreif geboren werden und vergleichsweise recht lange brauchen, um selbstständig überlebensfähig zu sein. Anders als bei anderen Säugetieren haben wir nur sehr wenige instinktive Verhaltensweisen, die unser Überleben nach der Geburt sichern und unsere lange Entwicklungszeit hin zum selbstständigen, autonomen Erwachsenen setzt die Begleitung durch mindestens einen einfühlsamen Erwachsenen voraus, der mit den vorhandenen Signalen und Äußerungen in Resonanz geht und durch seine Dasein und Reagieren in die komplexen Zusammenhänge des Lebens begleitet. Eine wesentliche Fähigkeit aber, die wir im Grunde bereits zum Zeitpunkt unserer Geburt sehr gut entwickelt haben, ist die Fähigkeit zu kommunizieren. Damit einhergehend dürfen wir erkennen, dass Bedürfniswahrnehmung und Äußerung nicht nur eng mit unserem zentralen Nervensystem verbunden sind, sondern auch mit der Fähigkeit Bindung zu suchen und einzugehen. Je zuverlässiger ein Baby Reaktion auf seine Äußerungen erlebt, desto sicherer und gebundener fühlt es sich und desto größer ist der Spielraum für Weiterentwicklung und Differenzierung von Kommunikation.

Abgesehen davon führen auftauchende Bedürfnisse im Menschen zu einer zunehmenden Anspannung. Ein Erwachsener hat gelernt, was zu tun ist und kann an dieser Stelle unmittelbar reagieren um den Körper wieder in die Entspannung zu bringen. Ein Baby wie auch Kleinkind schafft das noch nicht (selbst ältere Kinder brauchen hier oft noch Begleitung) und braucht definitiv einen Erwachsenen, der hier nicht nur das Bedürfnis (durch die Äußerung erkennt) sondern dieses auch begleitet.
Wie oben beschrieben zeigen die Beobachtungen und das Erleben in der Praxis, das Babys definitiv fähig sind, ihr Ausscheidungsbedürfnis wahrzunehmen, dieses anzuzeigen und ihre Schließmuskulatur zu kontrollieren, ohne das man sie dafür einem speziellen Training unterziehen oder unter permanente Beobachtung stellen müsste. Allerdings darf hier auch erkannt werden, dass diese Aufmerksamkeit dem eigenen Bedürfnis nach und nach fallen gelassen wird, wenn keine entsprechende Reaktion vom Erwachsenen an dieser Stelle erfolgt. In dem Fall speichert ein Baby ab, dass es sich um dieses Bedürfnis nicht kümmern muss.

Auf das Ausscheidungsbedürfnis eines Babys einzugehen und darauf zu reagieren, wie dies bei der Windelfreiheit der Fall ist, bedeutet im Prinzip nichts anderes, als das Bedürfnis aufzugreifen und ein bewusstes Ausscheiden zu ermöglichen. Indem man dem Baby und seinem Bedürfnis Achtsamkeit entgegen bringt, geht seine Fähigkeit auch selbst darauf einzugehen nicht verloren, sondern bleibt erhalten. Wobei „auf das Bedürfnis eingehen“ hier nicht bedeutet, dass niemals Windeln verwendet werden dürfen oder die Eltern es nur dann richtig machen, wenn alles im Töpfchen oder in der Toilette landet. Auch bedeutet das Eingehen auf ein Ausscheidungsbedürfnis nicht, dass ein Baby solange am Töpfchen sitzen muss, bis etwas drinnen ist. Denn der Begriff „Windelfreiheit“ umschreibt lediglich den Umstand der eintritt, wenn man auf das Ausscheidungsbedürfnis eines Babys eingeht und darauf reagiert – Windeln werden weitgehend unnötig. Dennoch gibt es Eltern, die in bestimmten Situationen gerne auf Windeln zurückgreifen um mögliche nasse Hosen, zu vermeiden. Andere Eltern wiederum verzichten gänzlich auf die Verwendung von Windeln, weil sie sich damit wohler fühlen.

Wie oben beschrieben geht es hier nicht um verfrühte Sauberkeitserziehung. Kaum jemand würde beim Stillen oder Füttern von Erziehung zur Nahrungsaufnahme sprechen. Ebenso wenig würde beim Wickeln oder der Pflege des Babys von Wickel- oder Pflegeerziehung gesprochen werden. Bedürfnisse zu begleiten, die noch nicht selbst erfüllt werden können, sollte eine Selbstverständlichkeit sein und vor allem dazu dienen, dem Baby sein Wohlbefinden zu erhalten bzw. dieses zu gewährleisten. Gleiches gilt für Windelfrei und das behutsame Eingehen auf das Ausscheidungsbedürfnis des Babys.

Und was bei vielen Bedürfnissen selbstverständlich und normal ist – nämlich darauf zu vertrauen, dass ein Baby uns zeigt, wenn es sich unwohl fühlt und etwas braucht, dürfen wir in diesem Zusammenhang wohl wieder lernen. Denn so hilfsbedürftig Babys zu Beginn ihres Lebens außerhalb des Mutterleibs erscheinen, so fähig sind sie uns ihre Bedürfnisse mitzuteilen und auf sich aufmerksam zu machen.

Kompliziert? Nicht praktikabel?Elternbildung

Kurz erklärt reagiert man bei der Windelfreiheit bzw. der Kommunikation mit dem Baby über sein Ausscheidungsbedürfnis auf die Äußerungen des Babys oder auch den eigenen Impuls, setzt eine entsprechende Handlung und ermöglicht es dem Baby somit bewusst auszuscheiden. Dabei geht es jedoch nicht um ständige Beobachtung oder übertriebene Kontrolle. Grob umrissen lässt sich die Windelfreiheit in drei wesentlichen Punkten beschreiben. Es ist eine erweiterte Form bedürfnisorientierter Begleitung, es geht nicht um Sauberkeitserziehung (und somit um kein zu erreichendes Ziel) und es geht nicht um die Windel. Anstatt ihr Baby (hauptsächlich) zu wickeln, reagieren Eltern auf das Bedürfnis des Babys und geben ihm die Möglichkeit an einem geeigneten Ort auszuscheiden.

Was sich im ersten Augenblick kompliziert und nicht praktikabel anhören mag, ist in Wahrheit recht einfach zu bewerkstelligen, zumal es sich hier weder um ein Konzept noch eine bestimmte Methode handelt, wo Eltern sich an fest vorgeschriebene Muster und Handlungsanweisungen halten müssen. Wer mit seinem Baby über dessen Ausscheidungsbedürfnis kommuniziert und ihm das Ausscheiden über einem Töpfchen, der Toilette oder einem anderen geeigneten Ort ermöglicht muss sich nicht an irgendwelche Richtlinien halten, sondern kann frei entscheiden ob er ganz auf Windeln verzichten oder diese doch ab und an zur Sicherheit verwenden möchte.

Ein windelfreies Babys bedeutet definitiv kein mehr an Aufmerksamkeit, denn eines sollte uns heute klar sein. Babys – ganz gleich ob windelfrei oder gewickelt – brauchen unsere Aufmerksamkeit und Zuwendung, um sich zu einem gesunden jungen Menschen entwickeln zu können.

Natürlich bedeutet ein Baby ohne Windel eine Umstellung, was das Eingehen auf Bedürfnisse betrifft. Ein mögliches Ausscheidungsbedürfnis lässt sich nicht einfach so ignorieren oder auf später verschieben, wie das vielleicht beim Wickeln der Fall ist. Andererseits ist es weitaus weniger Aufwand, dem Baby bei einem dringenden Bedürfnis die Möglichkeit auszuscheiden zu bieten, als es später wickeln zu müssen. Reinigung mit Feuchttüchern wie auch die Verwendung von Cremen und Babypuder entfallen bei einem windelfreien Baby gänzlich, da die Ausscheidungen nicht an seinem Körper kleben.

Die üblichen „Kleinigkeiten“ wie Pilzinfektionen im Genitalbereich oder die angeblich unvermeidliche Windeldermatitis kommen bei einem Baby ohne Windel im Grunde nicht vor. Und selbst wenn Windeln ab und an verwendet werden, sinkt der Windelverbrauch drastisch. Was nicht nur zur Geldersparnis führt, sondern auch dazu, das wesentlich weniger Müll erzeugt wird.

Geht man davon aus, dass ein Baby in zwei Jahren im Schnitt (zwangsläufig) 1 bis 2,5 Tonnen Windelmüll produziert, dann ist bereits ein stark reduzierter Windelverbrauch durch das bewusste Eingehen auf das Ausscheidungsbedürfnis  eine überlegenswerte Angelegenheit im Hinblick auf Klimaschutz und stetig wachsende Müllberge.