„Es gibt kein eklatanteres Symptom für das Verschmelzen der Wertvorstellungen und Stile von Erwachsenen und Kindern als das Schicksal, das den Kinderspielen widerfährt: sie schwinden mehr und mehr…
Mit einem Wort, Kinderspiele sind vom Aussterben bedroht.“ N. Postman
Lotta ist 4 Jahre alt und besucht täglich die Hasengruppe, eine Familiengruppe für 2-4- jährige in Ihrem Kindergarten.
Als der Vater am späten Nachmittag seine Tochter abholen kommt, fragt dieser: „Na, Lotta was hast du denn heute den ganzen Tag im Kindergarten so gemacht?“ Lotta: „Ich habe die ganze Zeit gespielt.“ Darauf der Vater: „Wieder NUR gespielt?“
Nun meldet sich die Kindergartenpädagogin Elsa zu Wort: „Lotta hat heute Früh im Morgenkreis die Kinder gezählt, wir haben zwei neue Martins-Lieder gesungen, über das Wetter gesprochen und abschließend die Martinslegende nachgespielt. Im Freispiel hat Lotta die Martinslegende künstlerisch mit Fingerfarben festgehalten und begonnen aus Pappmaché ihre Laterne zu basteln.
Vor dem Mittagessen waren wir im Garten und Lotta hat für all ihre Freunde auf dem Klettergerüst eine Geburtstagsparty organisiert und aus Sand und Rindenmulch Kuchen und Torten gebacken. Danach hat sie sich im Weidentunnel mit ihrem Freund Benni und ihrer Freundin Sophie eine Höhle gebaut und war anschließend noch kurz auf der Wippe schaukeln. In der Mittagszeit hat Lotta geholfen die Tische herbstlich zu dekorieren und für alle die Teller und das Besteck für das Mittagessen ausgeteilt. Danach hat sie mit ihren Freunden Lukas und Jonas das Kartenspiel Memory gespielt und in weiterer Folge noch mit mir und zwei anderen Mädchen in ihrem Alter ein Brettspiel namens „Tempo kleine Schnecke“ gespielt.
Vor der Nachmittagsjause haben wir im Kreis noch einmal die Martinslieder gesungen und die Kinder haben sich gewünscht die Martinslegende ein weiteres Mal nach zu spielen.
Lotta war mutig und wollte den armen Bettler aus der Legende nachspielen und konnte den gesamten Text des Bettlers vom Vormittag eins zu eins wiedergeben.
Nun ist es bereits 16:00 und Lotta ist immer noch voller Freude und traurig, dass der Kindergartentag zu Ende geht. In ihren Augen hat sie heute „nur gespielt“!
Wie schön, denkt die engagierte Pädagogin – und freut sich, dass Lotta so viele Kompetenzen stärken, festigen und vertiefen konnte und spielerisch doch so vieles „gelernt hat!“.
Mit den Worten – „wieder nur gespielt“ ist dem Vater anscheinend gar nicht bewusst, wieviel gerade im elementarpädagogischen Bereich im „kindlichen Spiel“ steckt.
„Lasst unsere Kinder spielen!“, lautet der Appell von André Frank Zimpel – denn gerade im „freien Spiel“ steckt der Schlüssel zum Erfolg!
„Aus diesem Grund ist es von großer Wichtigkeit den Kindern eine gewisse freie Spielwelt zu gewähren, indem sie selbst ihre eigene Phantasie zum Ausdruck bringen können und nicht bei jeder einzelnen Spieltätigkeit beobachtet und kontrolliert werden. Ist das nicht der Fall so verliert das Kind jegliche Freiheit sich ganz im Spiel entfalten zu können.“ (vgl. ebd., vgl. SCHEUERL 1978 in: NEUBAUER; 2008, S. 19)
Hier eine kurze Übersicht und Empfehlung an Spielformen und Spielen mit Altersangabe: (Dies dient rein als Richtwert)
ab dem 3. Lebensmonat:Rasseln, Spieluhren, Stofftiereab dem 6. Lebensmonat:Stoff – Holzbilderbücher, Beißringe, Puppen, Holztiere, Softbälle, Sandspiele, Scheibentürme, Stapeltürme, Küchenutensilien
ab dem 10. Lebensmonat: vom passiven immer mehr zum aktiven – Schaukelpferd, Holzklötze, Musikinstrumenteab 1. Lebensjahr:Seifenblasen, Wachsmalstifte, Instrumente, Darstellungsspiel – als ob Spiel = Sujetspiel, dies ist anfangs unreflektiertab 3. Lebensjahr:Rollenspiele – Mutter-Vater-Kindspiele;
Angelspiel, Doktorspiel, Bauernhoftiere, Kaufladen, Kinderküche, Verkleidungskiste, Spieltücher, Laufrad, Konstruktionsspiele-Duplo, Fahrzeuge jeglicher Artab 4. Lebensjahr:Gesellschaftsspiele und Tischspiele = Regelspiele, Puzzle 15-20 teilig und mehr, Knete, Fingerfarben, Wasserfarben, Spielhaus, Konstruktions- und Steckspieleab 5. Lebensjahr:Spielen mit Anderen im Vordergrund, Umgang mit Schere und Kleber, Kartenspiele, Balance, Fahrrad, Märchen, Geschichten, Ballspiele – Fußball, Tennis, Ritterspielzeug, Pferde, Legoab 6. Lebensjahr:Immer mehr auch Gebrauch von elektronischen Medien, Konzentrationsspiele, Schreibutensilien, Wolle-Finger stricken, Kartenspieleab 7. Lebensjahr:Diabolo, Einrad, Baumhaus, Brettspieleab 8. Lebensjahr:Wetter, Sterne, Pflanzen, Steine – Fein und Grobmotorikab 9. Lebensjahr:Sport, Bewegungsspiele, Musik, Strategiespiele, Freundeab 10. Lebensjahr:Abenteuer- Ausdauerspiele, Schnitzeljagd, klettern, zelten, Geschicklichkeits- und Knobelspiele
Friedrich Fröbel (1782-1840) der Begründer des Kindergartens im deutschsprachigen Raum erkannte schon früh die Bedeutung und Wichtigkeit des „freien Spielens“ für die weitere positive Entwicklung im elementarpädagogischen Bereich und die dadurch unbewusste Vermittlung von „Bildungsinhalten“ durch beispielsweise Nachahmung, feinfühlige Interaktionsprozesse durch kindliches Spielen mit Anderen etc…Spielzeuge werden immer mehr von der wirtschaftlichen Seite her kommerziell vermarktet und lenken unsere Gesellschaft. Dabei geben Spiele häufig immer mehr Denkensmuster vor. Die individuelle Kreativität und Phantasie der Kinder kann somit jedoch nicht immer ausreichend angeregt werden.Weiters ist zu beobachten, dass heutzutage leider auch wieder mehr und mehr geschlechtsbezogene Spielzeuge auf den Markt kommen. Wo bereits vor ca. 40 Jahren ein Umdenken stattgefunden hat – geht nun der Trend ganz klar wieder zu geschlechtsbezogenen Spielzeugen!Bereits im jungen Alter gibt es eine klare Zuordnung der Spiele – blaue Spielzeuge (wie Autos, Monster etc.) für Buben oder rosa Spiele (wie Lillifee, Prinzessinnen und Frisiersalons etc.) für Mädchen. Selbst die ursprünglich neutral gehaltenen Überraschungseier werden seit Neuestem extra für Mädchen in rosa produziert!!!
Kinder wachsen heutzutage in einer höchst reizüberfluteten und medial gesteuerten Spielewelt auf, in der diese häufig bereits im Kleinkindalter mehrere zusätzliche Kurse wie (Englisch im Kindergarten, Ballett, Fußball, Klavierunterricht etc.) besuchen.
Die Eltern dienen oft rein als Chauffeur und bringen die Kinder von A nach B. Doch wo bleibt noch die Zeit und Geduld für das gemeinsame Spiel beziehungsweise materialfreies Spiel zwischen Eltern und Kind? Ist es wirklich ausreichend, Kinder mit Spielzeugen zu überhäufen oder ist es wirklich notwendig Kinder in unterschiedliche Kurse anzumelden, um für die weitere Lebenssituation ausreichend „vorbereitet und ausgebildet“ zu sein?
Oder sollten wir nicht einfach wieder einen Schritt zurück versuchen – sich für unsere Kinder und deren Bedürfnisse Zeit nehmen – manchmal ist weniger doch mehr!?
Meist sind es die kleinen Freuden im traditionellen Kinderspiel, die uns auch heute noch an unsere eigene Kindheit mit einem stillen Lächeln zurück erinnern – eine Zeit, die wir leider im Alltag so oft hinter uns lassen – weil wir zwar alle nur das Beste für unsere Kinder wollen, jedoch am Zeitmanagement und dem hohen medialen und internationalen Leistungsdruck scheitern!
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