Janine kommt nach Hause. In der einen Hand eine schwere Einkaufstasche, an der anderen ihre Tochter Anna. Janine ist gut gelaunt, trotz der hohen Belastung, die sie als Alleinerzieherin hat. Ihre Vorgesetzte hat sie heute gelobt, und Anna hat im neuen Kindergarten zum ersten Mal nicht geweint. Noch schnell den Postkasten checken, dann kann sie sich endlich etwas Bequemeres anziehen. Sie sperrt die Postkastentüre auf, während Anna begeistert quietschend auf den Nachbarhund zuläuft. „Zuerst fragen, ob du ihn streicheln darfst!“ ruft Janine wie automatisch, während ihr Blick den gelben Zettel im Postkasten erfasst, der auf dem Stapel an Werbung und Katalogen liegt. Benachrichtigung über ein hinterlegtes Schriftstück, Absender Bezirksgericht. Ihre gute Laune ist wie weggewischt, kalte Angst macht sich breit, ihr Herz beginnt zu rasen, für einen kurzen Moment ist sie wie eingefroren. Tausend Gedanken gehen ihr durch den Kopf, als sie die Post in die Einkaufstasche stopft, zum Lift geht und Anna zu sich ruft. „Was will er jetzt schon wieder? Wir haben das bei der Elternberatung doch besprochen. Ich wusste, er führt etwas im Schilde. Hoffentlich erzählt der Kindergarten nichts Schlechtes über mich, wenn er von der Richterin befragt wird. Habe ich Anna eh immer etwas Gesundes als Jause eingepackt? Verdammt, gerade vor dem letzten Papa‑Kontakt hat sich Anna das Knie aufgeschlagen. Ich muss dringend meine Anwältin anrufen. Wie soll ich das alles zahlen?“ „Mama, aussteigen!“ ruft Anna, die schon vor der Wohnungstüre wartet. Janine blickt auf und versucht zu lächeln, Anna soll nichts merken, dabei schnürt es ihr gerade die Kehle zu.
Solche Situationen kennen viele Alleinerzieherinnen. Wenn sich zwei Erwachsene trennen, ist das eine Sache, wenn Kinder betroffen sind, eine andere. Dann geht es nämlich nicht mehr nur darum, aufzuteilen, wer die Wohnung, das Auto und das Kaffeeservice bekommen soll. Da geht es darum, die Trennung für die Kinder möglichst schonend zu gestalten. Das kann bedeuten, dass man eine Regelung findet, die dem Kind einen guten Kontakt auch zum anderen Elternteil ermöglicht, der nicht mehr im Haushalt des Kindes wohnt. Das kann aber auch bedeuten, dass man ein Kind vor einem gewalttätigen Elternteil schützen muss.
Streit bei der Trennung ist der Regelfall
Trennungen sind immer schwierig. Man trennt sich im Allgemeinen nicht deshalb, weil die Beziehung vorher so gut geklappt hat. Sich bei der Trennung dann plötzlich auf Dinge zu einigen, wo man es in aufrechter Beziehung nicht geschafft hat, stellt hohe Anforderungen an die Betroffenen. „Jede einvernehmliche Scheidung ist eine kulturelle Meisterleistung“, sagt Dr.in Helene Klaar, eine der bekanntesten Scheidungsanwältinnen Österreichs. Dasselbe gilt für Trennungen unverheirateter Paare mit Kindern.
Seit der vergangenen Novelle im Kindschaftsrecht (KindNamRÄG 2013) ist die Zahl der Obsorge- und Kontaktrechtsanträge bei den Familiengerichten stark gestiegen. Denn seit damals kann das Familiengericht die gemeinsame Obsorge auch gegen den Willen eines Elternteils verordnen. Die gemeinsame Obsorge kommt Kraft Gesetz lediglich verheirateten Paaren nach der Trennung zu, bei unverheirateten Paaren sind es die Mütter, die die alleinige Obsorge haben. Unverheiratete Eltern können die gemeinsame Obsorge unkompliziert beim Standesamt vereinbaren, nach einer Trennung ist jedoch nichts mehr unkompliziert und Einigungen in der Regel nicht mehr möglich.
Obsorge als Machtmissbrauch
Viele Organisationen sind bereits im Vorfeld zu dieser Novelle Sturm dagegen gelaufen, die gemeinsame Obsorge zu verordnen. Denn Gemeinsamkeit lässt sich nicht verordnen. Genau das ist auch unsere Erfahrung: viele Mütter wenden sich an uns, weil ihnen die gemeinsame Obsorge mit Beschluss aufgezwungen wurde, oder weil ihnen die Zustimmung zur gemeinsamen Obsorge damit abgerungen wurde, dass schlimme Konsequenzen in den Raum gestellt wurden. Dabei geht die Palette bis zu einer angeblichen Bindungsintoleranz, die eine Fremdunterbringung des Kindes notwendig machen könnte. Das Argument, es sei doch „nur die Obsorge“ und Eltern würden viel zu emotional um des Kaisers Bart streiten, greift in der Praxis nicht. Die Obsorge ist das Recht der Eltern, ihre Kinder nach außen rechtsgültig zu vertreten, z.B. wenn es um ärztliche Behandlungen geht. Bei gemeinsamer Obsorge kommt dieses Recht beiden Elternteilen zu, und – wie immer bei toxischen Partnern – kann dieses Recht auch missbraucht werden, indem z.B. ein Elternteil das Kind zum Schwimmkurs anmeldet, der andere es wieder abmeldet, dasselbe mit Kindergarten, Schule oder Therapien. Das ist nicht nur nervenaufreibend und den Alltag unnötig erschwerend, sondern vor allem Kindeswohl schädigend.
Kontakte trotz Gewalt
Ähnliche Schauergeschichten hören wir, wenn es um Kontaktregelungen geht. Oft wird die Familiengerichtshilfe damit beauftragt, Gespräche mit den Eltern zu führen und auf eine Einigung hinsichtlich der Kontakte hinzuwirken. Allerdings wird der heiligen Kuh der Väterbeteiligung viel zu oft die Tatsache geopfert, dass es zuvor Gewalt in der Beziehung gegeben hat. Statt Frauen und Kinder nach der Trennung zu schützen, werden sie zu persönlichen Kontakten mit dem gewalttätigen Vater gezwungen. Sogar strafrechtliche Verurteilungen z.B. wegen gefährlicher Drohungen gegen die Mutter halten Familiengerichte nicht davon ab, die gemeinsame Obsorge zu vergeben. Fakten werden großzügig ausgeblendet, manchmal sogar gegen das Opfer gedreht (z.B. indem der Mutter unterstellt wird, die langjährigen Gewalterfahrungen hätten sie psychisch labil werden lassen, was das Kindeswohl gefährden würde), Kompetenzen werden selbstbewusst überschritten (z.B. bei medizinischen Diagnosen durch Sozialarbeiter*innen) und Kinderrechte regelmäßig mit Füßen getreten (z.B. Kinderbeistände werden nicht mehr zu Tagsatzungen geladen, wenn sie den Kindeswillen vertreten).
Wir kommen aus unserer Praxis beim Kindschaftsrecht zu einem ähnlichen Befund wie die Kindeswohlkommission von Dr.in Irmgard Griss beim Asylrecht: es hängt vor allem von den beteiligten Richter*innen und Mitarbeiter*innen des Helfersystems (Familiengerichtshilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Kinderbeistand, Sachverständige, Besuchsbegleiter*innen, etc.) ab, ob gut hingesehen wird, ob eine qualitätvolle Befundaufnahme gemacht wird, ob am Ende eine Lösung am Tisch liegt, die das Kindeswohl wahrt. Das macht es für die Betroffenen besonders schwierig, denn das Rezept, die beste Strategie, die eine Maßnahme, die alles richtet, gibt es nicht.
Taktik is king
Vielmehr ist es eine Frage der Taktik, die man ständig anpassen und neu an den anderen Akteuren des Systems ausrichten muss. Daher kommt dem/r Anwält*in besondere Bedeutung zu. Nicht nur als Expert*in für alles Rechtliche und das Verfahren – sondern vor allem als Expert*in des Systems, der/die weiß, wie die Richter*innen ticken, wie die Familiengerichtshilfe tickt, wie die Kinderbeistände, etc. Zudem muss er/sie auch noch zum/r Klient*in passen. Allerdings warnen wir vor einem Missverständnis: der/die Anwält*in ist lediglich die Rechtsvertretung nach außen, das Verfahren führen müssen die Betroffenen aber immer noch selbst. D.h. dass sie gefordert sind, die Inhalte beizubringen, dass sie die Richtung vorgeben müssen, dass sie ihre roten Linien genau abstecken müssen – all das kann ihnen der/die Anwält*in nicht abnehmen. Und sollte er auch nicht, denn es sind immer noch die Betroffenen selbst, die die Expert*innen ihres und des Lebens ihrer Kinder sind. Ein Pflegschaftsverfahren zu führen, ist genau so anstrengend und belastend, wie es sich in obiger Schilderung liest. Es ist daher wichtig, sich Hilfe und Unterstützung auf allen Ebenen zu holen. rechtliche Unterstützung ist dabei nur ein Aspekt – genau so wichtig ist die psychische.
Rechtliche und psychologische Unterstützung
Daher: holen Sie sich Rat – rechtlichen, psychologischen, pädagogischen, wo auch immer Ihre Fragestellungen sind, und tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen aus, das wirkt stärkend und aus den Erfahrungen anderer kann man gut lernen.
FEM.A Telefon
für Gespräche über das eigene Obsorge-, Kontaktrechts- und Unterhaltsverfahren
+43 676 7721606
(Gespräch kostenlos, ev. Kosten des Mobilfunkbetreibers)
Mo/Mi/Do/Fr 9:00 – 12:00 Uhr, Di 14:00 – 17:00 Uhr
FEM.A Selbsthilfegruppe für Mitglieder
https://verein-fema.at/der-verein/#mitglied
Frauenhelpline gegen Gewalt
0800 222 555
kostenlos, rund um die Uhr
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