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Pubertäres Durcheinander im Frontalhirn: Vorübergehende Nichtabrufbarkeit von Metakompetenzen

von Prof. Dr. Gerald Hüther

Elternbildung
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Die Pubertät geht mit einer massiven Verunsicherung bisheriger Vorstellungen, Selbstbilder und Selbstkonzepte einher. Insbesondere in den komplexesten Bereichen des Gehirns, der sog. präfrontalen Rinde, kommt es während dieser Phase zu unspezifischen Übererregung der bis dahin dort herausgebildeten neuronalen Netzwerke. Sie sind für die sog. exekutiven Frontalhirnfunktionen (Affektkontrolle, Handlungsplanung, Folgenabschätzung, Einfühlungsvermögen, Verantwortungsgefühl) zuständig. Diese sog. Metakompetenzen sind daher vorübergehend nur eingeschränkt abrufbar. Um dieses latente Frontalhirndefizit überwinden zu können, brauchen pubertierende Jugendliche Unterstützung und Stabilisierung anstelle von Ablehnung, Unverständnis und damit weiterer Verunsicherung.

Die Pubertät ist die wohl schwierigste Übergangsphase im Lebenslauf. Plötzlich verändert sich der eigene Körper, das Gehirn wird von den nun vermehrt ausgeschütteten Sexualhormonen überflutet und der bis dahin herrschende, geschützte Zustand der Kindheit ist endgültig vorbei. Es gibt kein zurück. Man muss erwachsen werden. Das ist sehr viel auf einmal und das bringt einiges im Hirn durcheinander, vor allem in den komplexeren Bereichen des Gehirns, der präfrontalen Rinde. Die Jugendlichen sind verunsichert, sie müssen sich neu orientieren, sie haben Angst vor dem, was auf sie zukommt. Im Gehirn kommt es dort, wo bisherige Vorstellungen und Erwartungen mit den neuen Realitäten verglichen und abgestimmt werden, im präfrontalen Cortex, zur Ausbreitung unspezifischer Erregungen.

Die dort lokalisierten, hochkomplexen, handlungsleitenden, das Denken ordnenden und die Gefühle kontrollierenden neuronalen Netzwerke können angesichts dieser allgemeinen Übererregungen nicht mehr als spezifische Muster aktiviert werden. Damit gehen die durch diese Netzwerke vermittelten Metakompetenzen gewissermaßen im Rauschen des allgemeinen Durcheinanders unter. Ähnlich geht es auch bei uns noch gelegentlich nach der Pubertät in Phasen starker psychoemotionaler Verunsicherung im Gehirn zu: vorübergehendes Frontalhirndefizit, Rückfall in primitive, oft aus der Kindheit mitgebrachte Verhaltensmuster, und schließlich, wenn gar nichts mehr geht – Aktivierung der archaischen Notfallprogramme im Hirnstamm (Angriff, Flucht, Ohnmacht und Erstarrung).

Aus diesen primitiven, lebensrettenden Verhaltensmustern kommt man nur dann wieder heraus, wenn es gelingt, Ruhe ins Hirn zu bringen. Entweder indem man das belastende Problem löst oder indem man Unterstützung bei anderen Menschen findet oder auf andere Weise das wiederfindet, was einem in dieser schwierigen Situation abhanden gekommen ist: Vertrauen in sich selbst, Vertrauen zu anderen Menschen und, nicht zuletzt, das Vertrauen, dass es wieder gut wird. Genau so geht es pubertierenden Jugendlichen. Sie müssten deshalb Gelegenheit geboten bekommen, verlorengegangenes Vertrauen in sich, zu anderen, zum Gehaltensein in dieser Welt wiederzufinden.

Je besser es Eltern, Lehrern und Freunden gelingt, ihnen dieses Vertrauen wiederzuschenken, desto schneller erholt sich ihr Frontalhirn von der bis dahin herrschenden Übererregung, und desto besser können sie ihre Metakompetenzen wieder aktivieren. Voraussetzung dafür ist freilich, dass es ihnen bis zum Eintritt in die Pubertät gelungen ist, diese Metakompetenzen hinreichend gut auszubilden und dass es sich in ihren Augen lohnt, erwachsen zu werden. Ersteres ist bei vielen Jugendlichen nicht der Fall und Letzteres wird ihnen extrem schwer gemacht in einer vom Jugendwahn besessenen Erwachsenenwelt, in der pubertierende Jugendliche den Eindruck gewinnen müssen, es gäbe nichts schlimmeres als erwachsen und damit älter zu werden. Angesichts dieser Perspektive ist die Flucht pubertierender Jugendlicher in soziale Nischen (Hotel Mama), in Peergroups mit eigenen Jugendkulturen, in die virtuellen Welten von Computerspielen oder Chat-Rooms oder gar in Essstörungen und andere Psychopathologien eine aus ihrer Sicht sinnvolle Option. Für die weitere Ausformung der in ihrem Frontalhirn zu verankernden Metakompetenzen ist das allerdings die ungünstigste aller möglichen Lösungen.

 

 

 


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