Mehrsprachigkeit ist in Österreich längst keine Ausnahme mehr. Menschen migrieren – nicht nur um sich zu bilden oder zu arbeiten, sondern allzu oft um die eigene Existenz zu sichern bzw. um kriegsbedingten Verfolgungen oder Naturkatastrophen zu entfliehen.
Bildungspolitische Herausforderungen
Nicht nur Volksschulen in Wien sondern zunehmend auch in Villach (Kärnten) haben um die 90 % SchülerInnen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch. Die Bildungsinstitutionen erleben einen Wandel hin zu kultureller, religiöser und vor allem sprachlicher Vielfalt. Dies kann als große Bereicherung gesehen werden. Tatsächlich stehen die Betroffenen – wie die gesamte Gesellschaft – aber vor großen Herausforderungen. Nachhaltige Lösungen, die der Entwicklung dienen, können nur gemeinsam mit den migrierten Menschen erarbeitet werden. Ein hohes Entwicklungspotenzial liegt bei zugewanderten Familien mit kleinen Kindern, denn ihre Eltern haben den Wunsch, dass ihre Kinder Deutsch lernen und einen möglichst hohen Schulabschluss erreichen um den sozialen Aufstieg zu gewährleisten. Österreichische Schulen haben unter anderem das Ziel zukünftige Generationen zu verantwortungsbewussten Mitgliedern der Gesellschaft heranzubilden. Bildung ist der Schlüssel zur Erreichung dieser gesellschaftlichen Ziele und Sprache(n) das Mittel. Die Kenntnis mehrerer Sprachen kann zur Sicherung des Wohlstandes beitragen und gesellschaftliche Spannungen verhindern.
Konzepte zur Sprachbildung
Damit sich Kinder mit einer anderen Erstsprache als Deutsch möglichst gut in Bildungssysteme integrieren, wurden unterschiedliche Sprachförderprogramme entwickelt. Allerdings konzentrieren diese sich oft ausschließlich auf die Deutschförderung. Der Einfluss der Erstsprache auf den Erwerb einer weiteren Sprache – in diesem Fall Deutsch – wird meistens außer Acht gelassen. Aber das Beherrschen der Erstsprache stellt wichtige Weichen für das Erlernen der neuen Sprache und für den Ausbau der metakognitiven (z.B mathematisches Denken) und insbesondere der emotionalen und sozialen Fähigkeiten.
Eine Ausnahme bei Sprachfördermaßnahmen bietet das Projekt HIPPY – Home Instruction for Parents of Preschool Youngsters (http://www.kath-kirche-kaernten.at/dioezese/orgdetail/C2738/hippy1). Es handelt sich dabei um ein international anerkanntes Programm zum frühen Spracherwerb, zur Bildungsförderung, Elternbildung und Integration vor allem von sozioökonomisch benachteiligten Familien mit Migrations- oder Fluchthintergrund in die Aufnahmegesellschaft. In Kärnten ist das Katholische Bildungswerk seit 2012 Träger des Programms. 2017 kam der Bereich SMILE – Schule mit Lernerfolg dazu. In Kooperation mit interessierten Schulen wird HIPPY in Kleingruppen für die Eltern angeboten um verstärkt auch PädagogInnen die Sprachbewusstseinsbildung näher zu bringen. Im HIPPY&SMILE-Programm sind Familien mit verschiedenen Sprachen – angefangen von Arabisch, Chinesisch, Bosnisch/ Kroatisch/ Serbisch bis hin zu Igbo (Nigeria).
Mehrsprachige Vielfalt mit Büchern
Um Sprachkenntnisse zu erwerben und zu entfalten und dabei die Beziehung zu den Kindern zu stärken arbeiten die Eltern mit den Kindern HIPPY-Aktivitäten nicht gleich auf Deutsch spielerisch aus, sondern es werden verschiedene Reime, Gedichte, Lieder oder Fingerspiele zuerst in der „Wohlfühlsprache“ / Erstsprache gesprochen und dann einzelne Teile aus eigenen Büchlein auf Deutsch vorgelesen und nachgespielt. Durch das regelmäßige Vorlesen werden die Kinder nicht nur auf die deutsche Sprache neugierig, sondern auch auf andere Sprachen, mit welchen sie in der Schule oder im Familienkreis in Berührung kommen. So erzählte eine HIPPY- Mutter, dass ihre Tochter einige Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Fremdsprachen wie Französisch, Italienisch und Rumänisch durch die HIPPY-Aktivitäten selbst entdeckt hat. Den Eltern wird gezeigt, dass Lieder wie „Bruder Jakob“ nicht nur auf Deutsch sondern auch in anderen Sprachen existieren. Eltern lernen aber nicht nur HIPPY-Bücher, von denen manche zweisprachig geschrieben sind wie „Die Katze Mietze Matze“ / „Kedi Tintin Tarçin“, kennen, sondern auch andere wie „Weißt du, wie lieb ich dich hab“, die es in mehreren Sprachen gibt.
Sprachförderung und Elternbildung durch gezielte Vernetzung und Weiterbildung
Um die Mehrsprachigkeit bei den Familien zu fördern werden zahlreiche andere Veranstaltungen, in denen sprachliche und kulturelle Normen und Werte entdeckt, anerkannt, wertgeschätzt und mit der deutschen Sprache in Beziehung gebracht werden, organisiert wie
- Mehrsprachige Lese-Nachmittage gemeinsam mit Eltern, Schulen und Pfarren
- Deutsch zum Frühstück/zur Jause oder Sprachcafés
- Gruppenausflüge in die Bücherei
Darüber hinaus wurde eine kleine Bibliothek, das „Mehrsprachige Bücherkästchen“, mit über hundert Kinderbüchern auf Arabisch, Bosnisch / Serbisch /Kroatisch, Italienisch eröffnet, wo HIPPY-Eltern kostenlos Bücher ausleihen können. Durch dieses intensive Programm zeigen sich bald nach Beginn erste Erfolge, was den Eltern bewusst macht, dass mit dem Vorlesen früh begonnen werden soll und dass Bücher, egal in welcher Sprache, das Zaubermittel sind um die Sprach- Lesekompetenzen und die Freude an Sprache(n) zu fördern.
Ganz besonders eignet sich Mira Lobes mehrsprachige „Das kleine Ich bin ich“ um Kinder frühzeitig auch in ihrer Muttersprache an das Lesen heranzuführen.Eine Mutter erzählte, dass sie ihrem Sohn, als er vier Jahre alt war, das Buch jeden Abend vor dem Schlafen gehen vorgelesen musste. Aufmerksam hat er bei allen Sprachen zugehört. Derzeit befindet sich das Kind in der zweite Klasse eines zweisprachigen Zweigs (Deutsch-Slowenisch), wo er mit viel Freude großartige Ergebnisse nicht nur in den Sprachen, sondern auch in Mathematik und anderen Fächern erzielt. Dabei hatte die Mutter enorme Bedenken, dass ihr Sohn nicht richtig Deutsch lernen würde, wenn er zugleich Slowenisch lernt. Heute weiß sie, dass das Erlernen einer weiteren – wenn auch prestigeniedrigen – Sprache ihrem Sohn nur Vorteile gebracht hat. Sie ist froh frühzeitig über die Vorteile einer mehrsprachigen Erziehung aufgeklärt worden zu sein.
Förderung der sozialen und emotionalen Kompetenzen
Bei Gruppentreffen und Hausbesuchen sprechen ReferentInnen und HIPPY-Trainerinnen die Erziehungsziele und -stile mit den Eltern an und vergleichen jene im Herkunftsland mit denen in Österreich. Kinderrechte werden bewusst gemacht, die Haltung Erwachsener den Kindern gegenüber diskutiert und das eigene Verhalten reflektiert. Die Behandlung der Themen, die in den HIPPY- Büchern kindergerecht dargestellt und durch die Erarbeitung der begleitenden Aktivitätenhefte pädagogisch gut aufbereitet werden – oft auch Tabus wie Streit in der Familie – wirkt sich sehr positiv auf die kindliche Entwicklung aus. Durch die regelmäßige Beschäftigung mit dem Kind, das Vorlesen und dialogische Lesen, das spielerische Erarbeiten der Inhalte lernen Eltern und Kinder einander besser kennen und das gegenseitige Vertrauen wird gestärkt. Eltern und Kinder werden ermutigt Gefühle wahrzunehmen, sie zu benennen und zu verstehen, dass zum Erwachsen-Werden sowohl die Freude und das Glück wie auch die Angst, der Zorn und die Traurigkeit gehören.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass durch das HIPPY-Programm die Sprachkompetenz sowie die kognitiven, sozialen und emotionalen Kompetenzen gefördert und entwickelt werden. Die hohen mehrsprachigen Kompetenzen dieser Kinder bereiten ihnen einen guten Schulstart. Sie leisten später nicht nur für individuelle Bildungsprozesse einen wichtigen Beitrag, sondern erhöhen auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt weltweit. Sie eröffnen die wichtige Ressource der sozialen Stabilität.
Kommentare
Sandriesser
Ich finde es toll, dass durch dieses Programm Familien besucht werden und man den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes entgegenkommt. Ein wohltuender Kontrast zur sonst oft lähmenden Diskussion um den Spracherwerb von MigrantInnen. Weiter so!