Aus Studien in Deutschland wissen wir: Etwa 50 Prozent aller Schwangerschaften passieren ungeplant, davon ist etwa die Hälfte auch ungewollt. Was Frauen und Männer in dieser Situation fühlen, fürchten und hoffen, ist so vielfältig wie die Lebenssituationen und Lebensgeschichten jeder einzelnen schwangeren Frau und jedes schwangeren Mädchens.
Eine Entscheidung für oder gegen ein Kind ist niemals leicht und die Konsequenzen der Entscheidung könnten nicht weitreichender sein. Sie fällt immer vor dem Hintergrund einer Mischung an äußeren Gründen (finanzielle Situation, berufliche Perspektive, Qualität der Partnerschaft) und inneren Haltungen, die aber häufig nicht explizit genannt werden.
Aus unserer Erfahrung kristallisieren sich – unabhängig vom Alter – häufig zwei Fragen als entscheidend heraus: „Bin ich geliebt? Werde ich gehalten?“. Im Kern geht es um Zuversicht, Vertrauen, Bindung und das Gefühl, das Leben auch mit einem Kind meistern zu können, welche die Kraft geben, auch in einer schwierigen Lebenssituation – und das ist bei Jugendlichen fast immer der Fall – ja zum Kind zu sagen.
Schock und Scham als zentrale Emotionen
Vielen Mädchen und Burschen ist peinlich, überhaupt in diese Situation gekommen zu sein und sie haben Angst vor der Reaktion der Eltern. Die Nachricht der Schwangerschaft betrifft zumeist nicht nur sie selbst, sondern das ganze Familiensystem und das spüren sie und es belastet sie auch.
Die Scham kann so stark sein, dass die Schwangerschaft lange verdrängt wird. Sehr gut kann ich mich an ein Mädchen erinnern, das erzählte, sie wäre mit unerklärlichen Beschwerden ins Krankenhaus gekommen, wo die fortgeschrittene Schwangerschaft entdeckt wurde. Ich fand das klug: Erst am sicheren Ort des Krankenhauses, „im Leo“, erlaubte sie, dass das Undenkbare ans Licht kam, sie hoffte, dass sie dort auf Hilfe und Schutz zählen konnte.
Sehr stark hängt die Beurteilung der eigenen Situation von der jeweiligen Lebenssituation der jungen Frauen ab. Das Alter ist nicht alleine ausschlaggebend. Leben Jugendliche in einem Umfeld, in dem es üblich ist, zuerst eine Ausbildung zu machen und dann Kinder zu bekommen, sind Sorge und Schock auch der Eltern zumeist größer als in einem Umfeld, in dem Eltern traditionell jung sind. Sie hätten sich die Schwangerschaft ihrer Tochter nicht gewünscht, kommen aber schneller ins Helfen und Unterstützen.
Was sich Jugendliche wünschen:
- Ein Gegenüber, das zuhört
- Keine Vorwürfe!
- Zusage: „Ich bin/Wir sind an Deiner Seite“
- Gewissheit: Es gibt einen Weg und der wird gut sein
- Vertrauen: Du triffst die Entscheidung!
Endlich jemanden zum Liebhaben
Einige Mädchen spüren die Hoffnung, sich über ein eigenes Kind tiefe Wünsche erfüllen zu können: Dazu gehören zum Beispiel: Anerkennung und Selbstwert durch die Mutterschaft aufbauen.
Jugendliche, die mit diesen – ihnen kaum bewussten – Motiven schwanger werden, leben mitunter in Familien, in denen sie Geborgenheit und Schutz vermissen. Ein eigenes Kind bedeutet für sie: „Ich habe jemanden zum Liebhaben. Ich habe dann eine eigene Familie.“ Manchmal schieben sie durch ein Kind auch Entscheidungen über ihre berufliche Zukunft auf, von denen sie sich überfordert fühlen.
Was Jugendliche brauchen:
- Ein Gegenüber, das sie ernst nimmt
- Begleitung bei der Entwicklung einer Perspektive Schritt für Schritt
- Möglichst rasch Kontakt zu bekommen mit Gleichaltrigen in einer ähnlichen Situation
- Ein Nest um darin wachsen zu können, dieses kann zum Beispiel eine begleitete Wohnmöglichkeit (Mutter-Kind-Haus) sein
- Entlastung für den Alltag mit Kind und Hilfe bei der Wahrnehmung der kindlichen Bedürfnisse
Herkunftsfamilie: Mitgefangen – mitgehangen
Bei der Überlegung“ Kind ja oder nein?“ wird in der Beratung immer auch überlegt werden, welche Ressourcen zur Verfügung stehen. Wer könnte helfen? Wer freut sich mit? Gibt es jemanden, der bereit ist, die Verantwortung mitzutragen?
Haben die Eltern eine sehr gute Beziehung zu ihrer Tochter bzw. ihrem Sohn, überlassen sie diesen die Entscheidung und bieten gleichzeitig Hilfe an. Das geschieht aber oft nicht ohne eigene innere Konflikte. Ein Satz, den ich so oder ähnlich gehört habe: „Ich will mein Mädchen unterstützen, aber das geht auf meine Kosten“. Für Eltern, die erneut Verantwortung übernehmen, kann es bedeuten, auf eigene Lebenspläne verzichten zu müssen.
Im Zentrum der Beratung steht das betroffene Mädchen und ihr Partner. Die Eltern des Mädchens gehören aber dazu und sind häufig dabei. Haben sie selbst Gesprächsbedarf, steht eine eigene Beraterin nur für sie und ihre Überlegungen zur Verfügung.
Wissenswertes für Eltern der schwangeren Tochter:
- Die Entscheidung „Kind ja oder nein?“ liegt allein bei der schwangeren Tochter
- Schwangeren-Beratung hilft im Konflikt, egal wie die Entscheidung ausfällt
- Schwangeren-Beratung weiß, welche Ansprüche Jugendliche haben und wo bzw. welche Unterstützung es gibt
- Schwangeren-Beratung ist vertraulich, ergebnisoffen, kostenlos und für werdende Eltern wie auch – separat – für die werdenden Großeltern möglich
- Die Obsorge wird vom Jugendamt oder von den Eltern der minderjährigen Tochter übernommen, die Abklärung passiert durch das Jugendamt
- Auch Schülerinnen erhalten Kinderbetreuungsgeld und Wochengeld
Junge Männer dürfen nicht vergessen werden
Der werdende Vater ist genauso betroffen wie das Mädchen, nur häufig noch mehr überfordert, weil alles noch weiter weg ist. Materielle Fragen sind sofort da und die werdenden Väter fragen sich: können sie noch eine Ausbildung machen oder müssen sie ins Verdienen einsteigen?
Tatsache ist, dass jugendliche Mütter meist nicht in einer stabilen Partnerschaft leben. Der Kontakt zum Vater des Kindes muss aber auch nach dem Ende der Paarbeziehung nicht abbrechen. Aus unserer Erfahrung spielen die Eltern des jungen Vaters eine große Rolle: Ermutigen sie ihren Sohn dazu, Verantwortung zu übernehmen?
Die kostenlose Paarberatung im Rahmen der Schwangeren-Beratung ist hilfreich, um werdende Eltern dabei zu unterstützen, ihre Erwartungshaltung zu formulieren und die Beziehung als Eltern zu gestalten.
Wissenswertes für junge Männer:
- Kostenlose, vertrauliche Beratung ist auch für junge Männer da, die Vater werden
- Die Sorgen und Bedürfnisse der jungen Männer werden ernst genommen
- Gestaltung der Beziehung als Eltern, auch wenn die Partnerschaft in die Brüche geht, gelingt mit Unterstützung leichter
- Es gibt spezialisierte Männer-Beratung und Väter-Coaching
Schwangerschaftsabbruch: nicht alle Mädchen entscheiden sich für das Kind
Rund 1.100 Teenager bekommen in Österreich jährlich ein Kind. Darüber hinaus gibt es auch Schwangerschaftsabbrüche, deren Zahl allerdings nicht bekannt ist.
Innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft ist in Österreich der Schwangerschaftsabbruch straffrei, wenn dieser nach ärztlicher Beratung von einem Arzt/einer Ärztin durchgeführt wird. Das gilt auch für jugendliche Schwangere. War die Schwangere zum Zeitpunkt der Empfängnis unmündig, ist ein Abbruch auch nach der 3-Monats-Frist möglich. Keinesfalls darf ein Abbruch gegen den Willen der Schwangeren durchgeführt werden.
Entscheiden sich Jugendliche für den Abbruch, ermutigen wir sie, eine Vertrauensperson einzubeziehen. Heimliche Schwangerschaftsabbrüche sind eine Belastung für die Jugendlichen und ein Tabu, das sie ihr Leben lang begleiten kann. Kann aus kulturellen, religiösen oder anderen Gründen nicht in der Familie darüber gesprochen werden, bieten Beratungsstellen Hilfe bei der Verarbeitung des Erlebten.
Ein Schwangerschaftsabbruch ist bis zur 14. Schwangerschaftswoche chirurgisch möglich und wird meist durch eine Ausschabung durchgeführt, nach diesem Zeitpunkt wird die Geburt eingeleitet, wobei das Kind verstirbt.
In Wien übernimmt die MA 40 bei materiellen Notlagen von Wienerinnen die Kosten für einen Abbruch. In anderen Bundesländern ist es eine Privatleistung, die selbst zu zahlen ist.
Kein Schwangerschaftsabbruch ist die Anwendung der „Pille danach“. Sie verhindert den Eisprung und damit die Befruchtung. Sie muss je nach Wirkstoff spätestens 3 bis 5 Tage nach dem Geschlechtsverkehr eingenommen werden. Fand der Eisprung bereits statt, ist die „Pille danach“ wirkungslos.
Schwangerschaftsabbruch bei Jugendlichen
- Schwangerschaftsabbrüche sind innerhalb der ersten 3 Monate straffrei möglich, bei unter 14-Jährigen sogar über diese Frist hinaus
- Ab dem 14. Geburtstag können Jugendliche die Zustimmung zu einem Schwangerschaftsabbruch selbst erteilen, in manchen Fällen ist die Zustimmung des/der Erziehungsberechtigten aber nötig (z.B. fehlende Einsichts-, Urteilsfähigkeit oder aufgrund des Krankenanstaltengesetzes des jeweiligen Landes)
- Ein heimlicher Abbruch kann Jugendliche ein Leben lang belasten
- Für Wienerinnen gibt es die Möglichkeit eines kostenlosen Abbruchs
- Schwangeren-Beratung unterstützt Jugendliche auch nach einem Abbruch
Adoption: meist keine Alternative
Adoption wird manchmal als Alternative zum Schwangerschaftsabbruch betrachtet. Das widerspricht allerdings den Erfahrungen in der Praxis. Ja, es gibt Frauen, die mutig ihrem Kind das Leben schenken, um es danach loszulassen und anderen Menschen anzuvertrauen. Ein Kind herzugeben, verursacht Schmerz und Trauer, bricht Tabus und bringt viele Unsicherheiten. Frauen, welche diesen Schritt wagen, verdienen Respekt und Verständnis.
Für viele Frauen ist die Adoption allerdings keine Alternative zu einem Schwangerschaftsabbruch. Frauen, die sich für einen Abbruch entscheiden, wollen nicht nur nicht mit Kind leben, ein Teil möchte auch unter keinen Umständen schwanger sein oder eine Geburt erleben. Viele Frauen leiden ihr Leben lang darunter, ihr Kind zur Adoption freigegeben zu haben, insbesondere wenn sie das Gefühl hatten, dass sie keine Wahl hatten. Spricht eine Frau in der Beratung das Thema Adoption an, werden wir darauf eingehen. Fast alle Frauen, die entsprechende Unterstützung bekommen, entscheiden sich dafür, die Kinder zu behalten.
Das Leben mit Kind kann gelingen
Die Ergebnisse verschiedener Studien zeigen, dass die meisten Frauen oder Paare, die sich der Herausforderung „Leben mit Kind“ stellen, in die Rolle als Mutter oder Eltern gut hineinwachsen. So zeigte eine deutsche Längsschnittstudie, dass ein großer Teil jugendlicher Mütter und Paare einzelne Aspekte ihres Lebens für sich und ihre Kinder sehr positiv und zukunftsorientiert gestalten kann. Nach der Geburt eines Kindes entwickeln jugendliche Mütter und Väter meist ein stark ausgeprägtes Verantwortungsgefühl dem Kind gegenüber. Das Vorurteil, dass ungeplante Kinder ein unglücklicheres Leben oder einen schlechteren Start ins Leben haben, kann nicht bestätigt werden. Aber gesellschaftliche Veränderungen sind notwendig, um mehr werdenden Eltern die Entscheidung für das Kind zu erleichtern und positive Zukunftsperspektiven für junge Familien zu eröffnen.
Sehr hilfreich für Jugendliche
- Unterstützung der Herkunftsfamilie
- GynäkologInnen und Hebammen, die für die besonderen Bedürfnisse im Umgang mit Teenagern geschult sind (z.B. Young Mum)
- Schwangerschaftsvorbereitung für Teenager
- Unterstützung bei der Erarbeitung beruflicher Perspektiven
- Vernetzungsangebot mit anderen Teenagern in gleicher Lebenslage
- Angebot an Wohnmöglichkeiten für Jugendliche mit Kind
- Leistbare Betreuung des Kindes
- Rücksichtnahme von LehrerInnen und anderen AusbildnerInnen auf die besondere Lebenssituation
Beratung und Hilfe
Familienberatungsstellen und hier besonders Schwangeren-Beratungsstellen wie jene von aktion leben sind spezialisiert darauf, ungeplant schwangere Frauen und werdende Väter ergebnisoffen und professionell zu unterstützen. Diese Hilfe ist dank privater SpenderInnen kostenlos und wird vom Familienministerium gefördert.
Auf jugendliche werdende Eltern spezialisiert ist die Einrichtung „Young Mum“, angeboten vom Wiener Krankenhaus St. Josef. Ein Team von Ärztinnen und Ärzten, Hebammen, Psychotherapeutinnen sowie einem Sozial- und Rechtsberater hilft den Jugendlichen, sich dieser völlig neuen Herausforderung zu stellen und später auch den Alltag mit dem Baby erfolgreich meistern zu können.
Kommentare
Barbara
Gratuliere zu diesem gut strukturiertem, kundigen Beitrag. Man spürt, dass die Autorin bei diesem Thema fest im Sattel sitzt. Auch die Unvoreingenommenheit macht die Aussage so überzeugend.