„Ist bei uns alles anders?“
Eltern erzählen von ihren Erlebnissen mit ihren Kindern mit Behinderungen in der Gesellschaft mit sehr gemischten Gefühlen.
„Als ich nach der Geburt meines Sohnes mit Down-Syndrom in mein Stammlokal kam, wagte es keiner, mich auf mein Kind anzusprechen. Alle taten so, als gäbe es kein Kind. Das tat sehr weh,“ erzählt Ernst enttäuscht von seinen Stammtischkollegen.
„Als Marie ihren Rollstuhl bekam, brauchte ich zwei Monate, um sie damit zum Einkaufen mit zu nehmen, da nun jeder ihre Behinderung von Weitem sehen könnte,“ sagt Barbara. „Es war dann aber halb so schlimm, es wusste sowieso jeder um ihre Behinderung. Die Leute im Geschäft waren sehr freundlich. Sie sprachen Marie auf ihren bunten Rollstuhl an. Marie strahlte vor Stolz. Der Bann war gebrochen. Diese Offenheit hat mir sehr geholfen.“
Die erste Ausfahrt mit dem Kind im Rollstuhl, Einkaufserfahrungen mit einem autistischen Kind und ähnliche Situationen stellen eine besondere Herausforderung für Eltern dar. Zu den Besonderheiten des Kindes zu stehen, oft auch um seine Rechte kämpfen zu müssen, lassen Eltern Gefühle von Scham, Wut oder auch Kampfeslust erleben. Eine Berg- und Talfahrt der Gefühle ist ihnen gewiss. Gefühle wie „alle schauen mich an, die ganze Welt blickt auf mich und doch fühle ich mich ganz alleine“ beschreiben viele Eltern.
Ähnliche Situationen erleben Eltern aller Kinder dieser Welt, ob mit oder ohne Behinderung.
„Ida wirft sich im Supermarkt bei der Kasse auf den Boden, weil sie den Lolly nicht bekommt. Sie schreit wie verrückt. Alle starren mich an, was ich jetzt wohl mit ihr mache. Ich bin außer mir vor Scham,“ beschreibt ihre Mutter. „Wenn es mir gelingt, bei mir zu bleiben und die Beobachter/innen auszublenden, schaffe ich es immer besser, meine Tochter aus ihrem Trotzverhalten heraus zu führen.“
„Einmal erläuterte ich einer erstaunten Kassiererin, dass meine Kleine immer besser wisse, was sie wolle und dass sie schon eine richtig kleine Persönlichkeit sei. Im Nachhinein war ich selbst von meinem Mut in dieser Äußerung erstaunt, aber auch glücklich über diese positive Sichtweise,“ sagt Petra, Mutter eines Mädchens mit einer geistigen Behinderung.
„Was fehlt denn Ihrem Kind?“ Dieser Frage begegnen Eltern von Kindern mit Behinderungen in jedem Fall. Sie kennen solche oder ähnliche Erlebnisse gewiss aus eigener Erfahrung. Manchmal gelingt es einem besser, mit solchen Situationen umzugehen, manchmal weniger gut. Legen Sie sich verschiedene Reaktionsmöglichkeiten zurecht, um aus der Sackgasse zu kommen.
Reaktionsmöglichkeiten auf Fragen wie: „Was fehlt denn Ihrem Kind?“
Es gibt vielfältige Möglichkeiten zu antworten. Entscheiden Sie ganz individuell, worauf Sie sich in diesem Moment einlassen wollen. Vielleicht möchten Sie damit experimentieren und sich selbst dabei beobachten, wie es Ihnen mit den verschiedenen Antworten geht.
Bei welcher Antwort fühlen Sie sich besser? Welche führt Sie Ihrem Kind näher? Welche lässt Sie aufatmen? Wobei fühlen Sie sich stark?
- Sie können die Frage kurz beantworten, sich aber nicht weiter auf ein Gespräch einlassen. „Thomas hat Down-Syndrom.“ „Lisa hat ADHS, es kostet ihr viel Kraft still zu sitzen.“ „Adrian ist so zur Welt gekommen.“
- Sie können die Frage einfach nicht beantworten oder sagen, dass Sie im Moment nicht darüber sprechen möchten.
- Sie können zurückfragen: „Was möchten Sie denn gerne wissen?“, oder „Wie meinen Sie das?“ Wenn sich jemand wirklich dafür interessiert, könnte daraus ein angenehmes Gespräch werden.
- Sie können sagen: “Lassen Sie mich in Ruhe, ich habe jetzt keine Lust mit Ihnen zu sprechen.“
- Sie können dem Menschen Ihre Lebensgeschichte erzählen, wenn Ihnen danach ist.
- Wenn Ihnen nicht nach antworten ist, können Sie die Frage einfach überhören.
- Sie können lachend sagen: “Neugierig sind Sie aber gar nicht?“
- Sie können erwidern: “Gut dass Sie mich fragen, Ihre skeptischen Blicke verunsichern mein Kind. Ich erzähle Ihnen gerne etwas über die besonderen Bedürfnisse meines Kindes.“
Manchmal lösen sich unangenehme Gefühle in Wohlgefallen auf, wenn Sie sich trauen, sie anzusprechen. Achten Sie jedoch darauf, in welcher Verfassung Sie sind. Fehlen Ihnen die Kräfte für eine Diskussion, kann es auch gut sein, sich zurückzuziehen und eine Auseinandersetzung zu vermeiden.
Fragen an Eltern
- Wie geht es Ihnen mit Ihrem Kind in der Öffentlichkeit?
- Fällt es Ihnen leichter, mit Ihrem Kind in Ihrer üblichen Umgebung oder an einem fremden Ort unterwegs zu sein?
- Ist Ihr Kind gerne unterwegs, macht es gerne Ausflüge?
- Was braucht Ihr Kind, um sich wohl zu fühlen?
- Haben Sie gerne Ihre/n Partner/in, eine/n Freund/in oder sonst jemanden mit dabei?
- Sprechen Sie mit dieser Person über Ihre Gefühle in der Situation?
- Wie reagieren Sie, wenn jemand Ihr Kind anstarrt?
- Wo hatten Sie schon Kontakt mit einem Menschen mit Behinderung?
- Wo hatten Sie positive Erlebnisse und was war gut daran?
- Erinnern Sie sich an eine Situation, in der Sie es nicht wagten, ein brennendes Thema anzusprechen? Zum Beispiel die Krebsdiagnose eines Nachbarn.
- Stört es Sie, wenn Sie jemand auf die Behinderung Ihres Kindes anspricht?
- Wie möchten Sie, dass man Ihnen und Ihrem Kind begegnet?
- Loben Sie sich manchmal dafür, wenn Sie einen Erfolg gehabt haben?
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