Für viele Dinge im Leben gilt: Aller Anfang ist schwer! Stimmt. Doch wer hätte gedacht, dass die meisten Austauschschülerinnen und Austauschschüler den Abschied vom Gastland und die Rückkehr in die Heimat als schwieriger erleben als ihren Aufbruch ins Ungewisse?
Selten liegen Abschiedsschmerz, Wiedersehensfreude und eine Handvoll Missverständnisse so nah beieinander wieder bei der Rückkehr aus dem Austausch. Ein längerfristiger Auslandsaufenthalt ist eine sehr einschneidende persönliche Erfahrung im Leben eines Jugendlichen. Es ist eine Zeit voller neuer Erfahrungen und Herausforderungen.
Während dieses Aufenthaltes genießen Austauschschüler nicht nur einen Sonderstatus, sondern sie entwickeln sich persönlich in ganz neue Richtungen weiter. Im Ausland laufen viele Entwicklungsprozesse wie im Zeitraffer. Die Jugendlichen müssen plötzlich Entscheidungen selbständig ohne die gewohnte elterliche Unterstützung treffen. Es gilt Sprachbarrieren, eigene und fremde Vorurteile und oft auch den eigenen Schweinehund zu überwinden, um offen auf fremde Menschen zuzugehen, sich einen neuen Freundeskreis aufzubauen, kulturelle Fettnäpfchen zu umschiffen, Heimweh zu bekämpfen und sich eine neue Familie zu erarbeiten.
Diese und viele andere Anforderungen lassen Teenager schneller reifen, als dies Zuhause der Fall gewesen wäre. Einige Veränderungen sind offensichtlich, andere geschehen allmählich und unbewusst oder zeigen sich erst im Kontrast mit der Heimatkultur. Eltern, Freunde und Verwandte erleben diese Veränderungen oft erst bei der Rückkehr, dann jedoch mit geballter Macht.
Eltern sehnen den Augenblick des Wiedersehens lange herbei, die Jugendlichen tragen zumindest widersprüchliche Gefühle in sich. Denn mit der Rückkehr scheint das Abenteuer erst einmal vorbei. Dass die Austauscherfahrung bleibt und das vermeintliche Ende eigentlich ein Anfang ist, dazu bedarf es einiger Zeit, Mühe und Selbsterkenntnis. Denn nun stehen die Ausgetauschten vor der eigentlichen Aufgabe: die zwei Kulturen in denen sie nun Zuhause sind, miteinander zu verbinden.
Das Kind, das die Eltern vor einem Jahr in die Welt gelassen haben, ist in vieler Hinsicht erwachsen und deutlich selbstständiger geworden. Aus einem schüchternen Mädchen ist eine selbstbewusste junge Dame geworden. Und mancher Bub schießt nicht nur körperlich in die Höhe. Wer dieser Tatsache nicht Rechnung trägt, wird schnell in Konflikte mit Sohn oder Tochter geraten. Denn die gewonnene Selbständigkeit und das gewachsene Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten möchte man als Jugendlicher nicht wieder aufgeben.
Rückkehrer kommen jedoch auch mit zahlreichen Erfahrungen wieder, die die meisten gern teilen möchten. Mit vielen Erlebnissen bleiben sie am Ende aber doch zunächst erst einmal allein, denn das Interesse von Freunden, Geschwistern oder Lehrern ist bei aller Offenheit begrenzt und mancher ehemalige Austauschschüler vergisst dabei, dass auch das Leben in der Heimat weitergegangen ist.
Deshalb sind viele Rückkehrer dankbar für die offenen Ohren und die Geduld der eigenen Eltern. Andere hingegen hüten ihre Erlebnisse wie einen Schatz und verarbeiten die Erfahrung lieber im Stillen. Und immer ist eine Portion Fernweh – oder Heimweh (?) – dabei, die dazugehört, wenn man in zwei Kulturen zuhause ist.
Aber egal, welchen Weg man wählt: Die Rückkehr aus dem Austauschjahr ist ein neuer Anfang, eine neue Aufgabe. Sie ist ein neuerlicher Anpassungs- und Entwicklungs-prozess. Wer sich bewusst auf diesen Weg begibt, dem stehen viele Möglichkeiten offen, die eigene Austauscherfahrung anzuwenden und weiterleben zu lassen: Ob als Mittler zwischen Kulturen oder im Rahmen von sozialem oder politischem Engagement, ob als ehrenamtlicher Mitarbeiter einer Austauschorganisation oder Peer-Moderator in der Schule. Wer gelernt hat, die Welt mit anderen Augen zu sehen, sieht mehr.
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