Hörst Du nicht?! Jetzt gib doch mal Ruhe!! Mach endlich weiter!!
Wenn Sie sich selbst solche Sätze sagen hören, weil das Verhalten Ihres Kindes Sie dazu treibt, empfehle ich Ihnen, „das Ei zu knacken“! Kinder zeigen Verhalten, das aus einer Emotion kommt, hinter der ein Bedürfnis steht. Das kann man sich wie Schichten eines Ei´s vorstellen: Schale – Eiweiß – Dotter (Verhalten – Gefühl – Bedürfnis). Wenn wir nur die Schale, also das Verhalten, betrachten, dringen wir nie zu den inneren Schichten vor, die den eigentlichen „Gehalt“ des Ei´s darstellen: Gefühle und Bedürfnisse eines Kindes, das wir aus ganzem Herzen lieben! Und für die wir als Eltern verantwortlich sind, zu sorgen. Es ist ja nicht nur unsere Aufgabe, die körperlichen Bedürfnisse unserer Kinder zu erfüllen, sondern auch die emotionalen, sozialen Bedürfnisse.
Wenn wir an der Oberfläche festhalten, führt das unweigerlich zu einer entsprechend „harten“ Reaktion. Ein Beispiel: wenn ich an der Tatsache, dass mein Kind am Heimweg vom Kindergarten mit Regenwurm-Beobachtungen herumtrödelt, festhalte, wird das dazu führen, dass ich mich ärgere, ich werde aus meinem Ärger heraus Druck aufbauen und etwa sagen: „Jetzt komm schon! Für sowas haben wir keine Zeit, wir müssen weiter“ und das Kind wird je nach Temperament, kürzer oder länger dagegen ankämpfen und je nach Intensität der druckerhöhenden elterlichen Maßnahmen, irgendwann lauter oder leiser mitgehen. Wenn es hingegen gelingt, unter die Oberfläche zu blicken und sich darauf einzulassen, was dort los ist, bietet das mehrere Geschenke:
Wir können in Kontakt (= Soziales Grundbedürfnis) mit dem Kind treten, indem wir uns ernsthaft für seine Welt interessieren. „Ah, ja, ein Regenwurm! Lass mal sehen, was der macht.“
Wenn wir auf Augenhöhe, also z.B. in die Hocke, gehen, können wir die Begeisterung im Gesicht des Kindes erkennen – Achtung, das kann ansteckend sein!
Beim Einlassen auf die Freude, die Faszination, die das Beobachten eines Regenwurmes auslösen können, wird vielleicht ein Blick auf die dahinterliegenden Bedürfnisse möglich. Das könnte z.B. das Bedürfnis, die Welt zu verstehen und kennenzulernen sein, oder das Bedürfnis, sich in Interaktion mit der Natur als selbstwirksam zu erleben, weil man den Wurm z.B. „rettet“. Weil für kleine Kinder immer „JETZT“ ist, sie also kein Zeitgefühl haben, kann es auch das Bedürfnis sein, den Moment zu er-leben und zwar mit allen Sinnen (auch das ist Lernen).
Das Erstaunliche ist, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr Zeit und auch nicht mehr Energie kostet, sich auf die Situation und das Kind einzulassen, als wenn wir sozusagen dagegen ankämpfen und das Kind mit Druck zum Weitergehen bewegen wollen. Vermutlich ist es sogar eher weniger.
Ich nenne es „Anerkennen, was ist“, was den ersten Schritt darstellt, um nicht in alte Muster des Kämpfens (Schimpfens) zu verfallen. Wenn gerade ein Regenwurm erforscht werden will, wenn ein Spielzeug überlebensdringend gekauft werden soll, die Banane an der falschen Stelle abgebrochen ist oder einen der Bruder quält… sprechen Sie genau das aus, was Sie wahrnehmen: „ich weiß, dass du das willst“, „ich kann sehen, dass es schwer für dich ist“. Wenn Menschen sich ernstgenommen fühlen, wird es leichter, gegebene Situationen zu ertragen, auch auszuhalten, dass nicht alles möglich ist, was man sich wünschen würde.
Auch zu sagen, was man selbst fühlt, nimmt viel Druck raus und macht klassisches Schimpfen unnötig. „Ich bin wütend“ dürfen Eltern auch mit der zum Gefühl passenden Körpersprache und Lautstärke aussprechen. Es bleibt eine Information über den elterlichen Gefühlszustand und ist keine Schuldzuweisung, die hingegen beim Schimpfen so oft implizit passiert.
Greifbare Eltern, die sich zeigen, als die, die sie sind, geben Kindern damit Orientierung, Sicherheit und den Halt, den sie so dringend brauchen! Ebenso brauchen Kinder klare Informationen über unsere persönlichen Grenzen. Damit ist gemeint, dass Sie dem Kind sagen, was sie wollen und was Sie nicht wollen, was Sie brauchen, denken, machen, etc. …und zwar in der Ich-Formulierung, die eine Information über Sie persönlich enthält: „Ich will jetzt nach Hause gehen.“ „Ich halte das für keine gute Idee.“ „Ich brauche Ruhe.“
Wir können unseren Kindern ohnehin nichts vormachen, weil sie so feine Antennen haben, mit denen Sie wahrnehmen, was tatsächlich los ist. Dass sie oft nicht benennen können, was sie wahrnehmen, und wenn es in Diskrepanz zu dem steht, was man ihnen erzählt, verstört Kinder eher als es ihnen hilft. Dann beginnen sie uns zu „suchen“ und das kann ganz schön unangenehm werden. Klare Ansagen können nicht nur sehr wohltuend sondern auch echt wichtig sein.
Kinder/Menschen schalten irgendwann auf „Durchzug“, wenn sie immer wieder dieselbe Leier hören. Den üblichen Text kennen ihre Kinder schon, also können Sie sich die Mühe sparen! Sagen Sie es stattdessen knapp und prägnant, vielleicht sogar mit nur einem Wort: „Badezimmer!“, wenn es Zeit ist, sich bettfertig zu machen. Oder „Licht“ wenn das Licht im Vorzimmer abgedreht werden sollte.
„Die Butter gehört in den Kühlschrank, damit sie nicht ranzig wird“ kann helfen zu verstehen, weshalb es wichtig ist, Dinge zu tun, die nicht auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen. Also erklären Sie verständlich, statt Verhalten zu bewerten oder zu interpretieren. Das Land der Interpretationen ist riesengroß, die Möglichkeiten schier unendlich. Entsprechend klein ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir mit unserer Interpretation einer Situation ins Schwarze treffen. Ja, auch dann, wenn wir einander schon sehr lange kennen….
Es gibt bestimmt noch viele kleine Tipps und Tricks, was man statt Schimpfen tun kann. Letztendlich liegt es an der GrundHALTUNG seinen Liebsten gegenüber, die darüber entscheidet, WIE wir aufeinander zugehen! Das gilt ja für alle Beziehungen, ob groß ob klein, jung oder alt. Und dann wäre da noch eine Sache:
Geht’s den Eltern gut, geht’s den Kindern gut!
So wahr dieser Satz ist, so schwer ist er dennoch oft umzusetzen. Die Anforderungsflut, denen sich Eltern oft ausgesetzt sehen, lässt einen manchmal an den Rand der Verzweiflung geraten. Und bevor wir als Eltern völlig zusammenbrechen, flippen wir vorher noch mal kurz aus. Die Leidtragenden sind dabei meistens die Kinder, als schwächste Glieder in der Kette, bekommen sie die Druckwelle der Entladung ab, die bei einer Schimpf-Tirade bildlich gesprochen stattfindet.
Niemand will das, hinterher tut es einem ja doch meistens leid. Also, was tun? Meine Empfehlung ist, zuerst eine Bestandsaufnahme zu machen, was die wirkliche Ursache für den Ausbruch war. Die Kinder sind es erfahrungsgemäß nicht (siehe die Sache mit dem Ei).
Es kann sein, dass es ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren ist, jeder einzelne davon sollte genau begutachtet und behoben werden. Wenn es momentane Übermüdung ist, hilft Schlafen, wenn es zu viel von allem ist, hilft Entrümpeln und Reduzieren auf das Notwendigste usw. Betrachten Sie körperlich, geistig und psychisch alle Ebenen. Letztendlich zählt „Selbstfürsorge“ als Basis dafür, dass eine gleichwürdige Haltung in der Familie gelebt werden kann, nämlich wirklich allen Familienmitgliedern gegenüber!
Isabell Huttarsch (M.Sc.)
Psychologin (M.Sc. Klinische Psychologie & Psychotherapie), freie Autorin für Print- und Onlinemedien, Gründerin von Mamapsychologie und Mama von zwei Kindern. Ihre Mission: Mamas auf ihrem Weg in eine bewusste Mutterschaft auf Augenhöhe zu stärken.
Webseite: www.mamapsychologie.de
Instagram: @mamapsychologie
Warum Schimpfen unseren Kindern schadet
Wir tun es (fast) alle: Schimpfen. Manchmal, weil wir glauben, dass unsere Kinder das „brauchen“. Und noch viel häufiger, obwohl wir das eigentlich gar nicht wollen. Doch was macht das Schimpfen eigentlich mit unseren Kindern?
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