Ursprüngliche Autorin: Bettina Weidinger
Wenn Menschen sich Kinder wünschen, dann denken sie meist an süße Babys, kuschelige Kleinkinder, an die Herausforderung Gemüse schmackhaft zu machen, ausreichend Frischluftzufuhr zu ermöglichen und den ersten Schultag freudig zu feiern.
Interessanterweise beinhalten die Phantasien rund um die Gestaltung eines Lebens als Eltern selten jene Phase, wo Kinder aufhören ihre Eltern ausschließlich toll zu finden, wo Kinder schlicht und einfach beginnen das Kindsein abzulegen und Erwachsene zu werden. Möglicherweise ist dies deshalb so, weil es schwer vorstellbar ist, dass man selbst als Mutter oder Vater irgendwann nicht mehr die erste und wichtigste Bezugsperson sein wird.
Pubertät
Lässt man Jugendliche, Erwachsene oder Kinder Wort- Assoziationen zum Thema Pubertät suchen, finden sich nahezu ausschließlich negative Wörter.
Ein achtjähriges Mädchen einer Volksschulklasse brachte die Sichtweise ihrer Klassenkolleginnen während eines Workshops auf den Punkt:
„Pubertät? – ah Pickel, Mundgeruch, fettige Haare, dauernd Streit mit den Eltern und komische Sexsachen“
Und ein 13-jähriger Bursche meinte in einem Workshop:“ Es zahlt sich gar nicht aus die eigene Meinung oder gar Wünsche Erwachsenen gegenüber einzubringen – im Moment ist die Antwort immer dieselbe – ….ach, bist du pubertär“
Pubertät – das Monster aller Lebensphasen? Sicher nicht! Vielmehr eine Phase, in der vieles im Körper passiert, eine Phase, in der die eigene Identität hinterfragt wird, um sie wieder neu zu stabilisieren. Schade, wenn die negative Konnotation dieser Lebensphase dermaßen salonfähig ist, dass respektlose Bemerkungen über diese Zeit des sehr jungen Erwachsenenalters als Normalität gelten. Und genau deshalb sind Eltern und andere Bezugspersonen umso mehr gefordert, dieser Lebensphase und damit auch diesem Wort Begeisterung und Freude für die Veränderung entgegen zu bringen.
Annäherung an die erwachsene Sexualität
Mit ca. 10 Jahren beginnt die erwachsene Sexualität bei Kindern. Ab diesem Alter – prozessartig etwas früher oder später – verändert sich die kindliche sexuelle Phantasie hin zu einer Vorstellungswelt, die die Frage Was ist Sex? umkreist. Erst im Laufe der folgenden Jahre entwickelt sich in der eigenen sexuellen Phantasie eine Sehnsucht, erwachsene Sexualität auch selbst zu leben. Und dann kann es noch einige Zeit dauern, bis sich diese Sehnsucht auch erfüllt…
Die Annäherung an das Thema der gelebten erwachsenen Sexualität erfolgt über Phantasien, über viele Gespräche mit Freunden und Freundinnen. Aber auch über Flirts in der Schule, über sms-Beziehungen, lange Telefonate. Es scheint manchmal nur mehr ein einziges Thema zu geben: Sex und Kennenlernen. Aufregung, Kichern, großes Interesse. Mit 12/13 Jahren kann aus erwachsener Sicht der Eindruck entstehen, Jugendliche wären gar nicht mehr fähig anders als kichernd, lachend und Witze reißend über Sexualität zu reden. In Wahrheit ist es aber ganz anders:
Liebe, Sex und der Körper sind wichtige, spannungsgeladene Themen, auf die Antworten gesucht werden. Lachen ist eine freundliche Art des Spannungsabbaus – weil das Thema so wichtig ist, kann es möglicherweise im Moment nur auf diese Weise besprochen werden.
Bei Eltern löst diese Veränderung bei ihren Kindern manchmal Befremden aus. Da wird geblödelt, es werden sexuelle Bemerkungen gemacht, sobald aber der Versuch unternommen wird, ein „ernstes Gespräch“ zu führen, wird man als „peinlich“ abgestempelt.
Lachen Sie mit! Und nehmen Sie ernst!
Wenn Lachen das Kommunikationsmittel der Wahl ist, dann ist Mitlachen eine gute Möglichkeit, um in Kommunikation zu bleiben. Mitlachen ist etwas anderes als Auslachen oder Belächeln!
Und – nehmen Sie die direkten und subtilen Äußerungen zur Sexualität ernst. Es ist ein Zeichen dafür, dass Sexualität wichtig ist, dass Interesse besteht. Auch wenn das eigene Kind kein Interesse zeigt mit den Eltern über Sexualität zu reden, kann eine Broschüre, die man „zufällig“ mitgebracht hat, hilfreich sein. Dass danach nicht gefragt werden darf, ob die Broschüre bereits gelesen wurde, versteht sich von selbst.
Aber auch bei der Wahl der Informationsquellen können Eltern unterstützend wirken. Fragen zum Thema Sex und Kennenlernen brauchen Antworten. Und auch wenn diese nicht mehr bei den Eltern gesucht werden, kann es hilfreich sein zu wissen, wo im Netz gesucht werden kann. Ganz nebenbei kann das Gespräch über passable Beratungsseiten im Internet auch dazu führen darüber zu sprechen, warum Sexseiten zwar höchst interessant sein mögen, aber nicht als Informationsquelle taugen.
Nehmen Sie die Beziehungen ernst, die vielleicht nur über das Telefon oder über soziale Netzwerke laufen. Eine 13 Jährige, die Liebeskummer hat, weil ihr Schwarm am Schikurs eine andere geküsst hat, hat echten Liebeskummer. Es tut mit 13 nicht weniger weh als mit 43 und es ist im Hier und Jetzt genau so bedrohlich wie später. Erwachsene, die ihre Kinder in diesen Situationen belächeln anstatt zu trösten, verniedlichen, anstatt respektvoll zu behandeln, vergrößern damit ungewollt den Kummer.
Verliebtsein, Liebe braucht Respekt
Egal wie alt man ist: Die eigenen Gefühle sind ernst und wichtig und brauchen ein Gegenüber, das respektvoll damit umgeht.
Es kann sein, dass Eltern gar nicht wissen, wer diese Person ist, die das eigene Kind in Gefühlshoch- oder tieflagen versetzt. Es kann sogar sein, dass man gar nicht weiß, ob es sich um eine Beziehung handelt, gehandelt hat oder handeln wird. Aber es wird mit Sicherheit so sein, dass die Stimmungen des eigenen Kindes sichtbar und spürbar sind.
Da Liebesgefühle etwas sehr Persönliches sind, ist es weder möglich sie zu verbieten, noch sie zu erlauben. Es macht auch wenig Sinn auf den sichtbaren Gefühlszustand mit einer Art polizeilichem Verhör zu reagieren. Es mag sein, dass es unter den Nägeln brennt erfahren zu wollen, was passiert ist. Erfahren können es Eltern nur, wenn sie die Geduld aufbringen, in respektvoller Weise ihre Beobachtungen rückzumelden:
Ich sehe, dass du in den letzten Tagen singend, tanzend und lachend durch die Gegend schwebst – mh, ich nehme mal an, es geht dir ziemlich gut!
Ich habe den Eindruck, dass dich etwas sehr belastet, was dir nahe geht. Vielleicht liege ich mit meiner Beobachtung auch falsch. Ich wollte dir nur sagen, dass es mir leid tut, wenn es dir nicht gut geht.
Es ist nicht immer leicht bei dem zu bleiben was man glaubt zu sehen, ohne den berühmten ABER Satz zu sagen – aber ich finde, du solltest über all dem die Schule nicht vernachlässigen.
Es ist völlig klar, dass Schule und Bildung wichtig ist und dass Liebeskummer oder Liebestaumel nicht Grund genug sind, um alles was bisher erarbeitet wurde, hinzuschmeißen. Es zahlt sich aber aus, die Bereiche Schule und Gefühle zu trennen. Schulthemen sind wichtige Themen. Liebesgefühle auch. Zusammen besprochen werden sollten sie aber nicht – auch dann nicht, wenn sie ineinanderfließen. Denn in das eine Thema ist rein kognitiv und das andere rein emotional. Es ist zumindest einen Versuch wert, das Lernen nicht zu emotionalisieren…
Respekt in der Kommunikation hilft auch dann, wenn Eltern unsicher sind, ob ihr Kind eine Beziehung hat, unsicher sind, ob die Treffen mit anderen stattfinden oder in Wirklichkeit Liebestreffs sind. Nachfragen im Sinne eines Verhörs ist hier ebenso wenig sinnvoll. Das Ansprechen der eigenen Irritation in Verbindung mit der Beobachtung kann im Sinne der gewaltfreien Kommunikation unterstützend wirken.
Respektvolle, gewaltfreie Kommunikation kann eine Basis für ein Gespräch über persönliche Gefühle schaffen. Liebesgefühle sind so persönliche Gefühle, dass sie den eigenen Eltern nicht unbedingt erzählt werden können. Es ist Aufgabe der Eltern diese Intimsphäre zu akzeptieren! Es kann weh tun und kränken, wenn man bemerkt, dass der Freundeskreis des Kindes, vielleicht sogar andere Eltern mehr über das eigene Kind wissen als man selbst. Das, was die Eltern-Kind Beziehung in diesem Alter tragfähig macht, ist aber nicht das allumfassende Wissen, sondern das stabile Beibehalten einer positiven Beziehung zum eigenen Kind ohne als Gegenleistung intime „Beichten“ zu fordern.
Gelingt dies, so können Eltern tatsächlich ein „Fels in der Brandung“ sein – weil sie an der Beziehung interessiert bleiben, auch wenn sich der Umgang miteinander verändert.
Aktive Angebote
Selbst wenn das Eltern-Kind-Verhältnis bisher „locker“ und „unproblematisch“ war, kann es sein, dass Kinder in Sachen Beziehung und Sexualität nicht genau wissen, wie ihre Eltern dazu stehen. Aktive, klare Angebote erleichtern es beiden Seiten einen Umgang mit dem Thema zu finden.
Zu den aktiven Angeboten zählt das Übergeben der e-card. Unabhängig davon, ob Sohn oder Tochter eine Liebesbeziehung haben, ist es ab 14 Jahren wichtig, dass die Heranwachsenden wissen, dass sie jederzeit zum Arzt/zur Ärztin gehen können, auch ohne die Eltern zu informieren. Eltern können anbieten zu unterstützen, es muss aber ausgesprochen sein, dass der Besuch bei der Frauenärztin oder beim Urologen, egal aus welchem Grund, eine ganz natürliche Sache ist und auch ohne Eltern stattfinden kann.
Informationsmaterialien zählen ebenso zu den aktiven Angeboten.
Aber auch das Angebot, Kondome an einem leicht zugänglichen Ort zu lagern oder die allgemeine Information über die Pille danach können entlastend wirken.
Die subtile Botschaft könnte lauten:
Ich will nicht in dich dringen und du musst mir nichts Intimes erzählen. Solltest du Sexualität leben, so sollst du wissen, dass das nicht nur ganz normal ist, sondern, dass ich dich auch bei Fragen zu diesem Thema stützen kann. Sollte es dir passieren, dass du ungeschützten Geschlechtsverkehr hast, kannst du dich an mich wenden. Ich werde nicht in Ohnmacht fallen, sondern einfach Unterstützung sein.
Klar ist: Eltern können den Zeitpunkt der ersten intensiven sexuellen Kontakte mit anderen bei ihren Kindern nicht bestimmen. Vielmehr noch – es ist eines der ersten Themen, das Eltern tatsächlich nicht mehr in ihrer Elternschaft anspricht.
Durch respektvolle Kommunikation, durch Rückmelden und emotionale Übersetzungsarbeit, durch aktive Angebote können Eltern heranwachsende Kinder in ihrer Kompetenz im Umgang mit der eigenen Sexualität unterstützen.
Mag.a Heidemarie König
Pädagogische Leitung des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik und Sexualtherapien
www.sexualpaedagogik.at
Klinische- und Gesundheitspsychologin, Sexualpädagogin, Klinische Sexologin nach Sexocorporel, Bio- und Neurofeedbacktherapeutin
Sexualpädagogische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen
Lehrgangsleitung Praxisorientierte Sexualpädagogik
Fachfortbildungen für Multiplikator*innen
Elternabende
Fachsupervision
Lehrtätigkeit an der Fachhochschule
Diese neue Eltern-Kind-Beziehung kann dadurch positiv unterstützt werden, indem Eltern auch über ihre eigenen Gefühle sprechen, bereit sind zu verhandeln, wenn es ums Ausgehen geht und ehrliche Rückmeldung geben, ob sie Übernachtungsbesuche haben wollen oder nicht. Es geht also weder darum, „alles ertragen zu müssen“ noch das eigene Kind zu „unterdrücken“ – es geht vielmehr darum, im gemeinsamen Lebensraum Wege zu finden, wie das Zusammenleben für alle angenehm sein kann. Das geht möglicherweise nicht immer ohne Konflikte – mit Sicherheit ist es aber für alle Seiten ein gutes Training im fairen Verhandeln.
Stephan Hloch
Psychologe, Sexualpädagoge, Leiter von ÖGF First Love Mobil, Berater bei ÖGF Herzklopfen Online-Beratung; Mitarbeiter der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung (ÖGF);
www.oegf.at
www.firstlove.at
www.herzklopfen.or.at
Das erste Mal…
Trotzdem mediale Einflüsse zugenommen haben und Pornografie leichter zugänglich ist, beschäftigen Jugendliche rund um das „erste Mal“ ganz ähnliche Fragen wie ihre Elterngeneration.
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