Schon im Mutterleib erleben Kinder vermutlich Träume, Neugeborene verbringen 80 Prozent ihres Schlafes in der REM-Phase, die Schlafphase der Träume. Dieser hohe Anteil an REM-Schlaf verringert sich langsam im Laufe der Kindheit und der Pubertät: Erst etwa im Alter von 21 erreicht ein junger Mensch einen „erwachsenen Schlafrhythmus“.
Was sagen uns diese wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Träume unserer Kinder? Können wir damit unsere Kinder besser verstehen? Wie intensiv sind die Traumerlebnisse der Kinder? Wenn Kinder Träume oder Albträume erzählen, bekommen wir dann einen besseren Einblick darin, was sie beschäftigt und bewegt? Wie reagieren wir darauf, was brauchen Kinder von ihren Eltern, wenn das kindliche Unbewusste in Traumform Botschaften zu senden versuchen mag?
Schlaf und Wahrnehmung bei Kleinkindern
Wir sind auf Spekulationen angewiesen, wenn wir überlegen, was ein Baby träumen mag. Ein Baby kann uns nicht erzählen, worüber es träumt oder ob es überhaupt träumt. Obwohl es seitens der Psychologie und der Psychotherapie, vor allem der Psychoanalyse Ideen über Träume bei Säuglingen gibt, wissen wir sehr wenig darüber.
Was wir aber heute wissen ist, warum wir schlafen und was in den verschiedenen Schlafphasen stattfindet. Der REM-Schlaf, den die Schlafforschung auch Traumschlaf nennt, dient vermutlich dem Lernen und Einordnen von Dingen, die erlebt und erfühlt werden. Im REM-Schlaf bildet sich, soweit wir das heute wissen, vor allem das sogenannte prozedurale Gedächtnis aus – will sagen, wir lernen Bewegungsabläufe und Prozesse, die später teilweise automatisch ablaufen. Ein Baby hat viele Sinneseindrücke zu verarbeiten, eine ganze neue Welt zu entdecken. Das muss schnell geschehen, denn schon bald wird es sich als Kind in dieser Welt zurechtfinden müssen. Das würde diese langen und häufigen REM-Schlafphasen gut begründen.
In der Non-REM Schlafphase erfolgt die Regeneration des Körpers, Zellumbau und Zellaufbau. Bei Kindern ist diese Schlafphase besonders tief, was vom enormen physischen Aufwand des Wachstumsprozesses leicht erklärbar scheint. Kinder sind aus diesen Schlafphasen manchmal schwer zu wecken.
Leider können wir nicht mit Sicherheit sagen, ob wir nicht auch im NonREM-Schlaf träumen oder ob diese Träume vielleicht anders sind, nicht so bunt und nicht unbedingt dreidimensional. Bis vor kurzem hat man zum Beispiel geglaubt, man nehme zum Beispiel während des Schlafwandelns nichts wahr. Heute wissen wir, dass wir (und unser Kinder, die deutlich häufiger Schlafwandeln als wir Erwachsene) schemenhaft die Umgebung auch beim Schlafwandeln wahrnehmen, dass aber manches nicht so glatt läuft wie im Wachen: Man kann zum Beispiel nur einfache Rechenbeispiele lösen, zwar den eigenen Namen sagen, auch Antworten auf Fragen geben, aber ob diese Antworten richtig sind, ist zweifelhaft. Daher: auch wenn man jemanden, der schlaft, fragt und eine Antwort bekommt, darf man nicht davon ausgehen, dass man nun die Wahrheit hört.
So viel zum wissenschaftlich-medizinischen Teil. Von wissenschaftlich-psychotherapeutischen Standpunkt ist besonders wichtig, was Kinder empfinden, wenn sie schlafen, träumen oder wach sind. In einer unserer Studien, durchgeführt von Fr. Mag. A. Ranner, hat sich gezeigt, dass Kinder erst etwa ab dem zweiten, dritten Lebensjahr die Identifikation von Realitäten lernen, wir bezeichnen das gerne als den Realitätssinn, der erst etwa ab dem zweiten Lebensjahr entwickelt wird.
Etwa zeitgleich mit dem Alter, da sie sich selber im Spiegel erkennen, beginnen sie, die Realität als Realität zu identifizieren, denn bis dahin unterscheiden sie nicht zwischen Geschichten, Witzen, Träumen und der so genannten wirklichen Welt. In so fern hier der Rat, Kinder von den eigenen Belastungen so gut wir möglich fern zu halten.
Falls Kinder in diesem Kleinkindalter Albträume erleben, ist aus diesen Erkenntnissen zu schließen, dass es nicht sinnvoll ist, erklären zu wollen, dass der Traum nicht real war, denn dies würde ein Kleinkind nicht verstehen. Was hilft, ist das Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln und der Gefahr des Albtraumes ein unerschütterliches Vertrauen in der Schutzfunktion der Eltern entgegenzusetzen, aber vor allem Träume erzählt bekommen, Träume teilen, sich auf die Träume der Kinder einlassen und die Träume der Kinder ernst nehmen, denn damit vermittelt man den Kleinen, dass man auch sie ernst nimmt und sich auf ihre Welt einlassen kann und möchte.
Kinder ab 5 Jahre
Die Fähigkeit Realität effektiv abzugrenzen, dürfte erst mit dem Beginn des Planens und des Reflektierens beginnen, man könnte es auf in etwa 4 bis 6 Jahre festlegen.
Bis im Alter von 4 Jahren träumen Kinder häufiger von Tieren als von Menschen, ihre Träume zeigen zudem erst ab dem Alter von 7 zusammenhängende Inhalte, erzählbare Geschichten. Davor sind es meistens zusammenhanglose Bilder (Barret 2001). Kinder erleben häufiger als wir Erwachsene Albträume und das gilt in der Traumforschung als ganz normal. Doch was bringt ein Kind dazu oft Albträume zu erleben, anstatt zu träumen?
Manchmal ist man geneigt, zu denken, dass unsere Welt eine so grausame ist, dass Kinder sie erst lernen müssen und sie ihnen seelische Schmerzen zufügt, die des Nächtens erst „verdaut“ werden müssen und sie zu ertragen oder mit ihnen umzugehen erst gelernt werden muss. Evolutionspsychologen würden vielleicht sagen, Überleben will gelernt sein und zum Lernen muss man motiviert sein: Beängstigendes bewältigen zu lernen, mag das Überleben der Fittesten fördern.
Natürlich kann auch ein Trauma Albträume auslösen. Erst seit den 80igern, ist offiziell anerkannt, dass Kinder unter PTBS (einem Posttraumatischem Belastungssyndrom) leiden können, sogar in höherem Ausmaß als Erwachsene. Kinder aus Kriegsgebieten sind oft betroffen, was kaum verwunderlich ist, wenn man sich vorstellt, dass sogar Erwachsene angesichts der Grausamkeiten, die sie dort erleben, sich oftmals nur schwer davon erholen können. Kinder träumen jedoch nicht allein, von dem, was sie gesehen haben. Sie verarbeiten es manchmal in symbolische Traumwelten, in denen sie z.B. davon träumen, von einem Wolf verfolgt zu werden (Barrett 2001). Die bedrohlichen Menschen wandeln sich in der kindlichen Albtraumwelt oft in Tiere und andere symbolische Gefahrenquellen.
Das Umfeld spielt ebenfalls eine große Rolle. Wenn Kinder in Armut leben, in einer gewaltbereiten Umgebung oder aber Eltern bereits an Albträumen leiden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Kinder das in ihren Träumen verarbeiten.
Hier ist die Aufmerksamkeit der Eltern besonders gefragt:
Morgens stehen wir alle unter Druck. Wir müssen zur Arbeit, die Kinder müssen zur Schule. Ich empfehle dennoch sich morgens ein wenig Zeit zu gönnen. Eltern können am Frühstückstisch mit den Kindern besprechen, was sie in der Nacht geträumt haben. Kinder träumen oft, es ist daher wahrscheinlich, dass sie auch manchmal etwas zu erzählen haben. Es macht wenig Sinn, einen Traum im Detail mit dem Kind analysieren zu wollen, aber besprechen nimmt oft bereits den Schrecken der Nacht, falls es einen gegeben haben sollte. Beachten sollte man auch eine etwaige nachlassende schulische Leistung, wenn Kinder häufig an Albträumen leiden, oder Launenhaftigkeit, Hyperaktivität oder Übermüdung, da Albträume oftmals von Schlaflosigkeit begleitet werden.
Eine weitere Methode für Kinder ihre Albtraumwelten zu überwinden ist das Luzide Träumen, also den Traum während des Träumens als solchen zu erkennen und wie sonst auch, im Geschehen handeln, und viel mehr noch, entscheiden zu können. Für Kinder ist es relativ leicht beim Träumen den Traum als Traum zu erkennen, da deren Traumwelten, Fantasiewelten und Realität überlappen. Doch ich empfehle das Klarträumen nicht vor dem 6. Lebensjahr anzuregen, denn bis dahin dürfte der vorher erwähnte Realitätssinn ausgebildet und gefestigt werden und wer weiß, vielleicht könnte das Klarträumen in dieser Hinsicht verwirren und das wollen wir ganz und gar nicht.
Bewältigungsrituale sind wichtig, dazu gehören auch so genannte Einschlafrituale. Den Tag noch einmal vor dem „zu Bett gehen“ Revue passieren zu lassen, um sicher zu gehen, dass das Kind keine Belastung in den Schlaf mitnimmt, und danach eine Gute-Nacht-Geschichte zu erzählen oder vorzulesen, gehören dazu. Ich bin mir dabei nicht sicher, ob ich unbedingt ein Grimmmärchen aussuchen würde. Es gibt noch keine Studien, ob grausame oder gar brutale Kindergeschichten mit Albträumen bei Kindern in Zusammenhang stehen, ausschließen würde ich es vorerst jedoch nicht. Es gibt ohnehin ausreichend sanftere Märchen, die die Fantasie und das Lernen der Welt anregen.
Die Pubertät
In der Pubertät wird bei vielen der Schlaf wieder länger, bis zu 14 Stunden. Natürlich ist dies im Rhythmus, den das Schulleben für unsere Jungendliche vorsieht, kaum möglich, denn der Tag hat nur 24 Stunden und die Abende werden oft für Soziale Vernetzungen gebraucht und bis in die Nacht ausgedehnt. Wir befinden uns also hier in der Lebensphase chronischen Schlafmangels. Eine Bemerkung nebenbei: Wenn Teenager am Wochenende mal so richtig ausschlafen wollen, hat dies nicht mit Faulheit zu tun. Sie benötigen den Schlaf, auch wenn sie der Coolness wegen es kaum zugeben würden und unsere Schulen berücksichtigen die Bedürfnisse der Schüler bekannter Weise viel zu wenig. Aus Sicht der Schlafforschung sollte der Schulbeginn um mindestens eine Stunde zurückversetzt werden!
Teenager neigen ohnehin dazu, sich in sich zu verschließen. Es ist kaum verwunderlich: zusätzlich zu der großen Leistung, die von ihnen in der Schule abverlangt wird, machen ihre Körper gerade gewaltige Veränderungen auf hormoneller Ebene durch. Sie müssen sich neu orientieren und dies ist ein belastender Prozess. Es sind nicht nur die Hormone, sondern auch die Liebe und alles, was damit zu tun hat, die in dieser Zeit gelernt wird. Wem ist das wirklich leicht gefallen?
Träume, Albträume und Parasomnien (Schlafwandeln, Sprechen im Schlaf, und anderes seltsames Verhalten im Schlaf) sind oft die einzigen Anhaltspunkte, die Eltern erhalten, um lesen zu lernen, was in ihren pubertierenden Sprösslingen vor sich geht und dass möglicher Weise Probleme bestehen, wie z.B. Mobbing in der Schule.
Träume und Albträume bei Kindern sollte man stets ernst nehmen, denn sie sind Ausdruck der Seele und ein Anhaltspunkt, um herauszufinden, ob wo möglich eine Intervention nötig ist. Bei lang anhaltenden Schlafstörungen oder Albträumen, kann eine professionelle Beratung weiterhelfen. Medikamente sind nur ratsam, wenn es anders nicht geht, denn wie schon vorher beschrieben, dient der Schlaf wichtigen Entwicklungsstufen eines Kindes und pharmakologisches Eingreifen hat Auswirklungen, womöglich solche, die wir heute noch gar nicht kennen.
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