Bereits 23 Prozent unserer Schulkinder leiden an Schlafstörungen, was dramatische Folgen haben kann: Permanenter Schlafmangel wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus und erhöht das Risiko, an einer Depression zu erkranken. Computer, globale Vernetzung und die ständige Erreichbarkeit können dabei mehr Schaden anrichten, als wir glauben wollen.
Weißt du noch (entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie duze, aber wir machen doch eine Traumreise in unsere Jugend – und Junge duzen sich eben), weißt du also noch, wie es war, als wir heimlich Mutters Wäscheleine nahmen, uns zum kleinen Felsen schlichen und als Edmund Hillary „unseren“ Mount Everest bestiegen? Weißt du noch, welchen schnarrenden Lärm es gemacht hat, als wir eine Spielkarte in die Speichen unserer alten Fahrräder gekluppt haben und uns dabei fühlten, als säßen wir auf einem Moped? Weißt du noch, wie Mama und Papa dir die Ohren vollgeschimpft haben, als unter der Schularbeit wieder ein dickes „nicht genügend“ geprangt hat, dich dann aber in die Arme genommen haben, dir den Kopf streichelten und einmal mehr ein „Wir schaffen das schon“ in das Ohr flüsterten?
Gedankenreisen haben uns bestimmt, Träume waren Pflicht, Phantasie gefragt.
Weißt du, wie es jetzt ist, wenn du am späten Nachmittag nach Hause kommst, die Wohnung leer, Mama und Papa noch bei der Arbeit? Den „Fleck“ in Mathematik kannst du nicht wegdiskutieren, nicht argumentieren, dass ja die meisten noch schlechter sind als du. Es ist niemand da, der dir zuhört. Also gehst du – wie immer – in dein Zimmer, schaltest den Computer ein, klickst dich in irgendeine Social Community (glaubst, dass du plötzlich tausend Freunde hast), stülpst dein Inneres nach draußen. Man hört dir oberflächlich zu, liest dich, kommuniziert mit dir. Aber ist das ein Trost?
Im Durchschnitt, so haben es die Statistiker nachgewiesen, redet die typische österreichische Familie gerade einmal 17 Minuten (!) pro Tag miteinander. Viel zu wenig, um Probleme zu lösen, um zu trösten, um gemeinsam zu träumen. Wo ist noch Papas mahnender Zeigefinger, der dir zum x-ten Mal den Hilfsarbeiterjob nahelegt, da es in der Schule ja doch nicht weitergeht? Wo die gute Freundin, mit der du alles betratschen kannst?
Die Werte von damals werden durch Elektronik ersetzt.
Also: Auf zum Gefecht der schnellen Daumen. Schon schreiben wir in Österreich über sieben Milliarden (!) SMS pro Jahr – und haben dabei ganz offensichtlich das Miteinanderreden verlernt. Psychiater stellen fest: Kinder und Jugendliche entwickeln Angstgefühle, wenn sie über ein, zwei Stunden keine Mail erhalten. Das „Koma-SMSen“ – dutzende Kurzmitteilungen werden in kürzester Zeit geschrieben – nimmt immer mehr zu. Und jeder dritte Mitarbeiter in unseren Betrieben fühlt sich durch die Mail-Flut erheblich gestört. Als Folge nehmen Stress, Unzufriedenheit und psychische Belastungen zu.
So ganz nebenbei: Jetzt ist auch die Mode eingerissen, dass der Nachwuchs seine schulischen Hausaufgaben per Mail an die Lehrer schicken muss. Natürlich, nachdem der Text das computereigene Rechtsschreibprogramm passiert hat. Auf ins orthographische Abseits …
Sind wir wirklich dabei, mit Vollgas an die Wand zu fahren? Raubt uns die elektronische Hektik Sozialgefüge, Lebensqualität und Schlaf?
Tatsächlich: Schon 23 Prozent der Schulkinder leiden unter Schlafstörungen. Von wegen Computer, Spielekonsole und Handy. Drei Viertel dieser Kinder sind am nächsten Tag in der Schule unruhig, unkonzentriert, überaktiv oder haben Wutanfälle. Tendenz stark steigend.
Der Schlafmangel wirkt sich beim Nachwuchs also besonders fatal aus. Laut jüngsten Umfragen wird Schlafmangel und Verschlafen als Hauptgrund (61 Prozent) für das Schule- schwänzen angegeben.
Wäre vermutlich nicht ganz so schlimm, wenn es dabei nicht auch gleichzeitig zu wesentlichen Veränderungen der Psyche käme.
Umfangreiche Studien haben z. B. gezeigt, dass Depressionen bei Jugendlichen in letzter Zeit deutlich zunehmen. Schon sieben Prozent der 12- bis 18jährigen sind betroffen; 13 Prozent haben regelmäßig Selbstmordideen. Dabei spielt die Schlafdauer eine entscheidende Rolle. Wer um 24 Uhr statt um 22 Uhr zu Bett geht, hat eine um 24 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit für Depressionen. Suizidgedanken nehmen um 20 Prozent zu. Und bei nur fünf Stunden Schlaf pro Nacht kommt es sogar zu einem massiven Anstieg der Depressionen (+ 71 %) bzw. Selbstmordideen (+ 48 %).
Natürlich wird das alles noch durch die Internet-Inhalte verschärft. Krachbumm, abschießen, Menschen treffen. Lachen. Ist doch nur alles virtuell. Bis die Scheinwelt von der Realität abgelöst wird. Norwegen hat erst kürzlich diese schreckliche Erfahrung gemacht.
Aber die vorgeben, es wissen zu müssen, die trommeln dir ständig ins Ohr: Mehr Freiheiten für die Jungen, Wahlalter runter auf vielleicht schon bald 14 (die, die davon betroffen wären pfeifen indessen schon längst auf die Politik), wenn’s geht, schon mit 12 in die Disko. Wen sollen die Jugendschutzgesetzte noch schützen? Wenn der moralische Rahmen wegbricht läuft die Gesellschaft aus dem Ruder.
Und das ist’s ja: Das Träumen wird von vorgegebenen Animationen abgelöst, die Freuden der Jugend durch Cyberattacken liquidiert.
Erst kürzlich titelte ein steirisches Wochenblatt: „Wie bitte geht Spass haben?“ Daneben das Bild eines Buben im Manageroutfit.
Gerade deshalb muss ich dich noch etwas fragen: Weißt du noch wie das damals mit der ersten Liebe war? Mit diesem Schmetterlingsgefühl und dem ersten kleinen Geschenk, dass du deiner Flamme gemacht hast? Vielleicht warst ja du es, der das Herz in den Baumstamm geschnitzt hat.
Viel davon – hör‘ bloß auf von Romantik zu reden – ist aber nicht geblieben: Jeder zweite Jugendliche lernt heutzutage seine Liebe nur mehr über das Internet kennen. Schau‘ mit deinem face ins book – sie lacht dir schon entgegen. Schade, worauf unsere Jungen verzichten (müssen) …
120.000 Österreicher sind bereits internetsüchtig, 20 Prozent der Jugendlichen sind Opfer von Cyber-Mobbing. Extrem alarmierende Fakten also, die indessen nicht nur den Nachwuchs betreffen. Schon jeder zweite Mitarbeiter steht unter so starkem Stress, dass es regelmäßig zu nächtlichem Erwachen mit Grübeln und Gedankenkreisen kommt.
Die Folge: Zu wenig Schlaf, starke Tagesmüdigkeit und ein erheblicher Verlust der Leistungsfähigkeit.
Schon jeder dritte Österreicher leidet an Schlafstörungen. Wobei die Prognosen hochdramatisch sind: In den USA, beispielsweise, vermissen bereits 75 Prozent der arbeitenden Bevölkerung den regelmäßigen, erholsamen Schlaf …
Computer, globale Vernetzung, die ständige Erreichbarkeit können mehr Schaden anrichten, als wir glauben wollen.
Umdenken tut Not. Natürlich ist niemand so blauäugig, zu glauben, dass wir ohne Computertechnik auskommen könnten. Ich selbst bin ja auch so ein Computergläubiger. Bei mir findest du alles: PC und Handys, Notebook und Tablets. Doch es ist wie mit einer Arznei: Die Dosis macht die Wirkung aus.
(Rück)Besinnung auf das Zwischenmenschlich, auf das Miteinander ist nötiger denn je.
Sonst droht die vollständige (elektronische) Isolierung.
Und der Jugendtraum wird zum Albtraum. Zum Jugendtrauma!
Vielleicht finden wir aber – Optimisten wird`s immer geben – doch noch den Weg zum Exit-Knopf.
Bis dahin also: c u!
????
Kennst‘ dich nicht aus? Das ist die phonetische SMS-Interpretation für „see you“.
Weit haben wir’s gebracht …
Brigitte Holzinger
Sie ist in Wien geboren, hat in Wien und Kalifornien (Stanford) Psychologie studiert. Sie ist Expertin für Schlaf, Behandlung von Schlafstörungen und Albträumen, Traum und luzides Träumen. Neben publikatorischer und Vortragstätigkeit arbeitet sie in Wien in freier Praxis als Lehrtherapeutin für Integrative Gestalttherapie, Supervisorin, Trainerin & Coach. Brigitte Holzinger leitet das Institut für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien, an dem sie die Lehrgänge „Dreamwork“ und „Schlafcoaching“ leitet. Schlafcoaching ist ein von ihr und ihrem Kollegen, Gerhard Klösch, entwickelter Ansatz für die psychologische Behandlung von Schlafstörungen. Schlafcoaching kann man inzwischen an der Meduni lernen. Mehr Infos unter www.traum.ac.at und www.schlafcoaching.org.
Die Traumwelt der Kinder
Schon im Mutterleib erleben Kinder vermutlich Träume, Neugeborene verbringen 80 Prozent ihres Schlafes in der REM-Phase, die Schlafphase der Träume. Dieser hohe Anteil an REM-Schlaf verringert sich langsam im Laufe der Kindheit und der Pubertät: Erst etwa im Alter von 21 erreicht ein junger Mensch einen „erwachsenen Schlafrhythmus“.
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