“Ich will Motorrad fahren!”
Jedesmal, wirklich jedesmal, wenn ein Motorrad an uns vorbeifährt, teilt Selma uns ihren Wunsch mit. Blick auf’s Motorrad, Schlag auf ihre Brust und ein inbrünstiges I (sprich:eeeeeii) heißt eindeutig: Das will ich (“I” sprich eeeii) auch!
Wir machen uns also, wieder einmal, auf den Weg. Selma kann in ihrem Fahrradanhänger sitzen, auch in ihrem Rollstuhl, aber am Sozius wird’s schwierig. Wir haben gelernt nach Nischen zu suchen, quer zu denken und auszuprobieren. Das wird uns auch bei der Lösung dieser Aufgabe helfen.
Schon in meinem Bauch hat sich Selma von Entwicklungsstandards verabschiedet und ihren Weg eingeschlagen. Sie kam nach Normmaßen viel zu klein, dafür mit besonderem Erbgut auf die Welt. Sie hat sich in fünf Kindergartenjahren von einer sitzenden Beobachterin zu einer wieselflinken Poporutscherin entwickelt. Und ihre Schulzeit würde sie sicher noch um einige Jahre verlängern wollen. Die Liste ihrer positiven Eigenschaften und Stärken ist lang. Erstellt von vielen Leuten, die in den vergangenen bald 16 Jahren ein Stück des Weges mit ihr gegangen sind.
Es macht großen Spaß, Selma beim Erwachsenenwerden zu begleiten!
Diese Begleitung ist schön, von einfach war nie die Rede.
Im Alltag habe ich oft den Eindruck, dass wir auf einer kleinen (Familien)insel im großen weiten Meer gelandet sind. Wir haben alles was wir brauchen und vieles, was uns glücklich macht. Sobald wir “auf’s Festland müssen”, wird es mühsam. Immer wieder Begutachtungen auszuhalten, die vor allem die Defizite und Schwächen erfassen; medizinische und (sonder)pädagogische Ratschläge zu erhalten, auch wenn man gar nicht danach gefragt hat und sich im Dschungel der Behindertenhilfe zurechtzufinden, kostet sehr viel Kraft.
Die Kraftquelle, die mir wieder hoch hilft, wenn ich völlig erschöpft bin, heißt Beziehung. Ich hole mir Unterstützung und Energie von den Menschen, die mir wertvoll sind.
Auch eine gute (Arbeits)beziehung zu Ämtern und Behörden ist mir sehr wichtig. Ich sehe uns als Kunden, habe eine hohe Erwartungshaltung und gebe (positives und negatives) Feedback. Das ist mein Weg, den Job der (lebenslangen) Antragstellerin zu erledigen.
Im Jänner 2021 wird es eine Zukunftsplanung mit und für Selma geben. Wir laden Menschen ein, mit uns nach neuen Betätigungswegen zu suchen. Denn auch einen Job zu finden, wird nicht einfach werden.
Zurück zum Anfang meines Textes:
Wir haben eine Kartbahn gefunden, die auch Zweisitzer-Fahrzeuge anbietet. Lärm, Helm und Geschwindigkeit vorhanden, das kommt einer Motorradtour nahe. Oder ist zumindest ein guter Anfang… Und am Anfang stehen wir ja immer… irgendwie…
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