Mobbing, Prügeleien, Ausgrenzung, grenzverletzende Körpererkundungsspiele – für die meisten jungen Menschen gehören solche Dinge zum Aufwachsen dazu. Bis zu 54 % der Mädchen und Buben geben an, innerhalb eines Jahres in Raufereien verwickelt zu sein und bis zu 13 % sind von wiederholten Mobbing-Übergriffen in der Schule betroffen (WHO-HSBC-Survey 2021/22). Wie können Kinder und Jugendliche den Umgang mit gewaltvollen Verhaltensweisen bzw. einen achtsameren Umgang miteinander lernen und was können Eltern tun, um ihre Kinder in solchen Situationen zu unterstützen?
Welche Formen von Gewalt gibt es?
Gewalt unter Kindern kann körperlich, psychisch oder sexuell ausgeübt werden. Konkrete Beispiele sind Mobbing, Bodyshaming (abwertende Kommentare, die den Körper einer Person betreffen), Schlägereien, soziale Ausgrenzung, Erpressen sowie körperliche und/oder sexuelle Grenzüberschreitungen. Auch ideologisierte Gewalt, beispielsweise durch die Verspottung einer Religionszugehörigkeit oder durch extremistische Aussagen, kommt vor. Prinzipiell gilt, dass Gewaltausübung in einer stark hierarchischen Struktur, wo strenger Gehorsam eingefordert wird und eine Atmosphäre der Angst vor Bestrafung und Demütigung besteht, begünstigt wird.
Gewalt findet heute oftmals über das Internet statt. Auf unterschiedlichen Websites oder über Social Media können Kinder und Jugendliche einfach an gewaltvolle Inhalte gelangen, Zeug*innen von Gewalt werden, selbst Gewalt ausüben oder Betroffene von gewaltvollen Handlungen werden. Auch Mobbing findet als Cybermobbing immer häufiger auf Social Media statt und macht damit auch nicht vor dem eigenen Wohnzimmer halt.
Warum werden Kinder und Jugendliche gewalttätig?
Nach Jesper Juul gilt „Kinder machen nicht das, was wir sagen, sondern das, was wir tun“ und in diesem Sinn ist es wichtig, die Vorbildwirkung von uns Erwachsenen im Guten wie im Schlechten zu beachten. Gewalt unter Kindern zeigt sich im Streit um Spielsachen oder im Raufen, das über das spielerische Sich-Ausprobieren hinausgeht, wo kein Stopp akzeptiert wird und es zu Verletzungen kommt. Aber auch im Cybermobbing, Verbreiten von Nacktfotos oder dem Weitersenden von Aufnahmen nicht einvernehmlicher sexueller Handlungen an Dritte.
Kinder und Jugendliche, die Gewalt ausüben, haben oftmals selbst Gewalt erfahren. Jegliche Form der Gewalt hat Folgen für das betroffene Kind. So können permanente verbale Abwertungen und Kritik der Eltern beispielsweise zu einem verminderten Selbstwert bei Kindern und Jugendlichen führen, was diese wiederum mit aggressivem Verhalten kompensieren können.
Werden Kinder und Jugendliche vernachlässigt und erfahren keine Unterstützung in herausfordernden Situationen, kann das zu Verunsicherung und Überforderung führen. Das erhöht wiederum die Wahrscheinlichkeit von aggressivem Verhalten gegenüber anderen. Junge Menschen brauchen Unterstützung in schwierigen Situationen, um zu erfahren, zu lernen und zu üben, welche Handlungsspielräume – außer Gewalt – möglich sind.
Wichtige Faktoren, die davor schützen, selbst Gewalt auszuüben, sind ein sicheres Umfeld zu Hause sowie eine gute Bindung zu Bezugspersonen und eine fürsorgliche Haltung der Eltern.
Wie kann ich mein Kind vor Gewalt schützen?
Damit Kinder und Jugendliche anderen ihre Grenzen aufzeigen können, müssen sie ihre eigenen Grenzen selbst gut wahrnehmen. Lernen Kinder ihre Grenzen und Gefühle zu kommunizieren und werden diese von ihren Eltern respektiert, ermöglicht ihnen das, auch in anderen Situationen einen achtsameren Umgang mit anderen zu pflegen und einzufordern.
Es ist wichtig, dass Eltern ihre eigenen Kinder für das Thema Gewalt sensibilisieren, ohne ihnen damit Angst zu machen. Je nach Alter des Kindes kann es hilfreich sein, geeignete Bücher oder Websites gemeinsam anzuschauen und damit auch zu üben, wohin sie sich wenden können. Das Besprechen von möglichen Grenzüberschreitungen darf kein Tabu sein. Wenn die Kommunikation über Gewalt und Grenzverletzungen möglich ist, fühlt sich das Kind sicher, auch über eigene gewaltvolle Erfahrungen zu sprechen.
Vor sexueller Gewalt schützt eine gute Körperwahrnehmung. Wissen Kinder, dass sie nicht alle Berührungen akzeptieren müssen und Nein sagen dürfen, hilft ihnen das, ihre Grenzen zu kommunizieren. Besonders wichtig ist auch die klare Benennung von Geschlechtsorganen. Dies erleichtert es Kindern, über etwaige Erfahrungen von sexueller Gewalt zu sprechen.
Wie können Eltern ihre Kinder beim Umgang mit gewaltvollen Situationen unterstützen?
Am wichtigsten ist es immer, den Kindern und Jugendlichen die Gewalt erleben, rasch Schutz zu gewährleisten und die Gewalt zu stoppen.
Zuhören, fürsorgliches Nachfragen und für das Kind bzw. die*den Jugendliche*n da sein sind wichtige Faktoren, um früh von Gewalt zu erfahren. Es ist wichtig, als Erwachsene*r gewaltvolle Handlungen konkret zu benennen, eine klare Haltung gegen Gewalt zu zeigen und dem Kind zu vermitteln, dass es Unterstützung bekommt und das Problem nicht allein lösen muss.
Stößt man als Erwachsene*r an die eigenen Grenzen, ist es ratsam, Unterstützung zu organisieren: einerseits für das betroffene Kind, andererseits für sich selbst. Beratungsstellen, die sich mit dem Thema Gewalt gegen Kinder und Jugendliche beschäftigten, unterstützen sowohl betroffene als auch grenzverletzende Kinder/Jugendliche sowie Eltern und andere Bezugspersonen.
Weiterführende Literatur:
- Juul, Jesper (2023). Es gibt keine unerreichbaren Jugendlichen! Wie wir mit unseren Kindern in Beziehung bleiben. Unterstützung während der Pubertät.
- Juul, Jesper (2011). Mutter und Vater sein.
- Juul, Jesper (2013). Aggression. Warum Sie für uns und unsere Kinder notwendig ist.
- Hoffman, Mary (2010). Du gehörst dazu. Das große Buch der Familien.
- Holleben, von Jan (2016). Kriegen das eigentlich alle? Die besten Antworten zum Erwachsenwerden.
Weiterführende Links:
- Die möwe. Kinderschutz hat einen Namen. www.die-moewe.at
- 7 Gewaltpräventionsbotschaften der möwe für Kinder und Jugendliche in: https://www.die-moewe.at/de/article/praeventivebotschaften
- Wallner, F. (2018). Mobbingprävention im Lebensraum Schule in: https://www.oezeps.at/wp-content/uploads
- Rat auf Draht: https://www.rataufdraht.at/
- Österreichische Kinderschutzzentren: https://www.oe-kinderschutzzentren.at/
- Fachstelle Selbstbewusst: https://www.selbstbewusst.at/
- ZARA: zara.at
- Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Gesundheit und Gesundheitsverhalten von österreichischen Schülerinnen und Schülern. Ergebnisse des WHO-HBSC-Survey 2021/2022: https://goeg.at/sites/goeg.at/files/inline-files/%C3%96sterr.%20HBSC-Bericht%202023_bf.pdf
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