Das Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom: Anders und bereichernd
Die Diagnose
Wir erfuhren von der Diagnose ein paar Stunden nach der Geburt von Emma Lou. Mitten im Gang vor der Intensivstation kam ein Arzt auf uns zu und stellte die Frage: Sind sie mit Trisomie 21 vertraut? Als nächstes sagte er uns, dass wir am folgenden Tag ab 12:00 unsere Tochter besuchen dürften. Wir mussten nach Hause fahren, ohne Kind in den Armen aber mit einer Diagnose im Kopf. Wir waren eine ganze Nacht und ein ganzer Vormittag nur mit dieser Diagnose konfrontiert: Ein Alptraum. Wir waren verwirrt und hatten Angst, dass unser Leben sich von einem Tag zum anderen radikal ändern musste.
Das Buch „Du bist da“ hätten wir in dem Moment wirklich gebraucht! Und so ist die Idee von dem Buch entstanden. Wie „erste Hilfe“, wie eine Hoffnungsspritze, die ganz schnell wirken soll. Denn im Buch sind die entsetzlichen Ängste ausgedruckt (ohne sie zu verschönern) und dann auf jede einzelne davon eine Antwort, einen Ausblick. Damit Raum für Hoffnung auf ein schönes Leben entstehen kann aber vor allem um Kraft zu sammeln. Denn in dem Moment nachdem man von der Diagnose erfährt, ist alles zu. Da war bei uns kein Platz für positives Denken. Fachliteratur und schnelles Internet-Surfen sind auch keine erfreuliche Lektüre.
Die Reaktion des Umfeldes
Wie das Umfeld auf ein solches Ereignis reagiert ist entscheidend für das weitere Leben der Familie. Wir hatten Glück, unsere Familien und Freunde haben uns alle liebevoll unterstützt. Wir haben von Niemandem komische Reaktionen erlebt. Das macht viel aus und das ist leider nicht selbstverständlich. Deshalb ist eine Sensibilisierung der Gesellschaft ausschlaggebend. Denn mehr Anerkennung führt zur mehr Akzeptanz gegenüber Menschen die aus irgendeiner Weise der „Norm“ abweichen, ob es sich um Behinderung handelt oder etwas anderes. So kann eine pluralitätsfähigere Gesellschaft entstehen und ein bessere Lebensqualität erzielt werden.
Unser Alltag
Unser Alltag unterscheidet sich gerade nicht sehr viel von Familien mit zwei Kindern: Emma Lou geht in den Kindergarten, sie will lieber Cornflakes anstatt Marmeladenbrot und im Endeffekt doch das, was auf dem Teller ihres Bruders liegt; sie zerstört die riesen Lego-Bauten, die ihr Bruder 3 Stunden lang aufgebaut hat, sie will am Abend nicht ins Bett gehen, sondern spielen; sie will sich in der Früh nicht anziehen und sie liebt Heidi…
Anders ist, dass sie mit vier noch nicht flüssig sprechen kann. Sie wiederholt mehr und mehr Einzelwörter und sagt 2-Wörter-Sätze. Sie spricht allerdings diese einzelne Wörter sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch und verwendet die Gebärdensprache wenn sie etwas kommunizieren will, was sie nicht mit der Lautsprache ausdrucken kann. Wenn ihr etwas nicht gefällt, braucht sie keine besondere Sprache zu verwenden… man versteht ganz genau was los ist ;)! Hier zu einem Klischee von Kindern mit DS: Sie sind nicht nur „lieb“, sie können toben wie jedes andere Kind!
Anders sind auch die Termine bei den verschiedenen Therapeuten. Einmal in der Woche Pferdetherapie und blockweise (d.h. nicht dauerhaft, z.B. 2 Monate lang dann gibt es eine Pause) einmal in der Woche Logopädie. Das sind Dinge, die eine Logistik erfordern, die manchmal aufwendig ist. Aber Dinge an die man sich gewöhnt und die man mit der Zeit einfach annimmt.
Du bist da
Das Buch erzählt das was wir erlebt haben: die freudige Erwartung, der Schock, die Ängste und das wichtigste: wie unsere Tochter uns jeden Tag zeigt „ keine Panik Leute: Schaut doch wer ich bin, wie gut es mir geht, was ich alles lernen kann und was ich habe, was andere nicht haben… ☺“.
Mit dem Buch möchten wir Hoffnung und Kraft geben. Die Botschaft verbreiten, dass selbst wenn nicht alles nach Plan läuft, das Leben trotzdem wunderschön werden kann.
Es gibt kein Rezept zum „Glücklich Sein“. Ein Kind mit Down-Syndrom sollte nicht gleichgestellt werden mit einem traurigen Leben. Wir erleben es jeden Tag und es ist nicht das was wir ursprünglich gedacht haben: Durch Emma Lou entdecken wir eine ganz neue Dimension des Glücks. Wir haben unseren Freundeskreis erweitert und viele bemerkenswerte und engagierte Menschen kennengelernt. Natürlich haben wir auch Sorgen, andere als diejenigen, die wir mit unserem Sohn haben. Wir müssen besonders viel Geduld aufbringen, denn alles dauert viel länger als die Regel. Aber wir wachsen zusammen damit und es gehört einfach dazu. Jeden Tag lernen wir davon.
Es ist wichtig eine andere Realität zu vermitteln als die allgemein verbreiteten negativen Bilder.
Ich hoffe wir können damit werdenden Eltern helfen, sich gründlicher mit dem Thema auseinander zu setzen, bevor sie zu einer Entscheidung kommen (falls die Diagnose während der Schwangerschaft entdeckt wird). Das kann bedeuten den /die behandelnden Arzt /Ärztin nach den Kontakten (Ambulanzen, Selbsthilfegruppen etc.) zu fragen, um sich gründlich zu informieren, wenn diese das nicht tun (was leider nicht selten ist). Und Eltern, die von der Diagnose nach der Geburt erfahren, möchten wir einen positiven Impuls geben, damit sie Mut fassen, die Dinge anders als nur negativ zu sehen. Denn eine Diagnose kann nichts über die Lebensqualität und das Glück eines Menschen im Voraus sagen!
Inklusion
Man hat Angst vor dem was man nicht kennt. Deshalb ist Inklusion so wichtig: wenn Behinderung Alltag ist, sinkt das Unwissen, die Intoleranz und die Angst gegenüber Betroffenen, egal ob Down-Syndrom oder etwas anders „Normabweichendes“. Man realisiert, dass man voneinander lernen kann. Was für soziale Kompetenzen die kleinen Freunde von Emma Lou im Kindergarten erworben haben, ist sehr rührend zu beobachten. Sie unterstützen mit einer Selbstverständlichkeit wenn sie merken, dass ein Kind ein bisschen langsamer ist und dabei erweitern sie ihre Sensibilität gegenüber den Anderen. Es wird nicht gehänselt vor dem Anderssein. Sie achten mehr aufeinander in der Gruppe und bilden dabei eine harmonischere Gruppendynamik. Dieses ist eine wertvolle Kompetenz für das erwachsene Alter!
Die wahre Behinderung
Was uns am meisten behindert? Dass Menschen wie Emma Lou mit einem defizitorientierten Blick angeschaut werden und als „behindert“ bezeichnet und kategorisiert werden. Diese Menschen sind Persönlichkeiten, keine Diagnose.
Das Buch und weiter…
Austausch über dieses Thema ist wichtig, deshalb machen wir, ich Birgit Lang und Jo Jacobs, immer wieder gerne Lesungen und Sprechrunden über das Thema.
Gerade arbeiten wir, zusammen mit dem Multimedia-Designer Jo Jacobs, an einer interaktiven und mehrsprachigen app book Version des Buches. Wir hoffen über eine Crowd Funding Kampagne, die Mittel dafür zu sammeln.
Außerdem suchen wir nach Möglichkeiten, das Buch in allen wichtigen Stellen (Krankenhäuser, Praxen von GynäkologInnen, Pränataldiagnostikzentren, Hebammen usw.) zu verbreiten. Wir freuen uns über jegliche Anregungen und Ideen diesbezüglich!
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