Prim. Dr. Thomas Kapitany
Mag. Lorenz Urban
(Kriseninterventionszentrum Wien)
Eine psychosoziale Krise tritt dann ein, wenn es zu einem Ungleichgewicht zwischen äußeren Belastungen und eigenen Bewältigungsmöglichkeiten kommt. Als solches sind Krisen nichts krankhaftes, sondern gehören zum Leben dazu. Jeder Mensch erlebt individuell unterschiedliche Krisensituationen im Laufe des Lebens und macht in der Regel auch die Erfahrung: Krisen sind bewältigbar! Die Erfahrung kleine und manchmal auch größere Krisen zu bewältigen, sind schon in der Kindheit und Jugendzeit wichtig für die persönliche Entwicklung.
Auslöser von Krisen können plötzlich und unerwartet auftreten, z.B. durch Verluste oder Konfliktsituationen, oder sich auf Grund einer Häufung von Belastungen allmählich entwickeln und zuspitzen. Wir sprechen dann von Veränderungskrisen (auch Entwicklungskrisen bei Kindern und Jugendlichen), die ebenfalls unabhängig vom Alter auftreten können. Akute Lebenskrisen können zum Beispiel durch Konflikte in Beziehungen (in der Familie, in Freundschaften oder Paarbeziehungen), durch Trennungen, aufgrund eines Todesfalls oder durch das Auftreten einer schweren Erkrankung entstehen, oder durch Probleme in der Schule oder am Arbeitsplatz und durch finanzielle Schwierigkeiten.
Um eine Krise verstehen zu können, ist es wichtig zu wissen, welche individuelle Bedeutung die Krise für die betroffene Person hat. Einen wichtigen Einfluss auf die Entstehung und Bewältigung von Krisen hat die soziale Umgebung.
Wenn eine belastende Lebenssituation eintritt und es nicht gelingt, mit den aktuell zur Verfügung stehenden Ressourcen die Belastung zu reduzieren, kann die Krise auch deutliche Beeinträchtigungen hervorrufen. Die erlebte Fähigkeit, selbst etwas ändern zu können, nimmt ab. Typisch ist das Erleben von Anspannung und Nervosität, von Ängsten, von Trauer, seelischem Schmerz und anderen belastenden Gefühlen, wie Hilflosigkeit und Ohnmacht. Häufig kommt es zu Problemen beim Schlafen und Schlafstörungen, auch körperliche Schmerzen aufgrund von Anspannung können auftreten. Ebenso sind Lern- und Leistungsstörungen typisch, sowie Probleme im Verhalten mit anderen, eine erhöhte Gereiztheit und Aggressivität ebenso wie ein Rückzug aus Beziehungen.
Zuspitzung von Krisen
Aus verschiedenen Gründen können Krisen einen bedrohlichen Verlauf nehmen: wenn das eigene Leben in der momentanen Situation nicht mehr lebenswert erscheint (Suizidgedanken oder Absichten), wenn mit den aktuellen Problemen oder mit einer inneren Wut nicht anders umgegangen werden kann, als die Aggression gegen andere zu richten oder es sogar zu tätlicher Gewalt kommt und/oder wenn z.B. Alkohol oder andere Suchtmittel zur scheinbaren Bewältigung der Belastungen missbraucht werden. In solchen Fällen ist es immer ratsam, Unterstützung bei professionellen HerlferInnen zu suchen.
Lebensüberdruss und Suizidgedanken können in einer akuten Krise entstehen, wenn das Gefühl der Überforderung und der Hilflosigkeit zu stark werden. Wenn momentan kein Ausweg aus einer Krise gesehen werden kann. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass es meist darum geht, dass die betroffene Person so – mit diesem Problem, in dieser Krise – nicht weiterleben möchte. Es geht eben darum, die Krise lösen zu können und Hilfe zu bekommen.
Als Angehörige/r, als Elternteil ist es wichtig, nachzufragen, wenn ich bemerke, dass sich das Verhalten bei meinem Kind oder bei einem anderen Angehörigen verändert hat, oder weil ich weiß, dass es Belastungen gibt, und ich mir Sorgen mache.
Beispielsweise kann ich mich erkundigen: „Mir ist aufgefallen, dass Du Dich immer mehr zurück ziehst. Kann es sein, dass Dich etwas bedrückt? Kann es sein, dass Dir gerade alles zu viel ist? Habe ich als Außenstehende/r das Gefühl, mein Gegenüber könnte Suizidgedanken haben, frage ich nach! (Kann es sein, dass Du die Lebensfreude verloren hast? Kann es sein, dass Du nicht mehr leben möchtest?)
Suizidalität kann im Umfeld Angst auslösen. Wichtig ist dabei, dass die Angst nicht lähmt, sondern dass man eine aktive Rolle einnimmt und versucht „Erste Hilfe“ zu leisten. Das kann man tun in dem ich man sich erkundigt, wie es dem/der Betroffene/n jetzt gerade geht und/oder man Hilfe von außen organisiert, z.B. bei einem Krisendienst, einer Krisenhotline oder in einem Kriseninterventionszentrum anruft.
Auch für sich selbst als Elternteil/als Angehörige/r ist es dann sinnvoll, sich bei diesen Stellen beraten zu lassen, wie man sich verhalten soll, wie man mit einer Suizidgefährdungen umgehen kann.
Kennzeichen der Krisenintervention
Entsteht bei Menschen in Krisensituationen das Gefühl, die aktuelle Krise nicht mehr alleine bewältigen zu können, ist es wichtig Unterstützung und Hilfe zu bekommen bzw. sie sich zu holen. Eine wichtige und erste Anlaufstelle sind Freunde und das familiäre Bezugssystem im unmittelbaren Umfeld. Ebenso ist es aber legitim und oftmals notwendig auch professionelle Hilfe im Bereich der psychosozialen und Gesundheitsversorgung, bei Stellen der Krisenintervention und Akuthilfe zu suchen.
Zunächst einmal hilft vor allem die Aussprache. Im Rahmen eines vertrauensvollen Gespräches kann Entlastung geschaffen werden, in dem die Belastungen und die schwierigen Gefühle ausgesprochen und benannt werden. Was überfordert mich? In welchen Lebensbereichen habe ich Probleme? Wer oder was verletzt mich? Wo glaube ich zu scheitern? Was macht mir Angst? Es hilft, einen Raum zu bekommen um das auszusprechen, was man gerade erlebt.
Von Seiten der Eltern oder anderer Helfer ist es wichtig nachzufragen. Das führt auch zu der wichtigen Erfahrung, zu erleben, dass meine Bezugsperson/mein Gegenüber mir zuhört, sich für mein Problem interessiert und Verständnis zeigt, und dass ich damit nicht abgelehnt werde.
Erst dann geht es darum, nach Lösungen für Konflikte und konkreten Hilfestellungen zu suchen. Es ist auch bedeutsam nach Möglichkeiten zu suchen, um Momente der Entspannung herzustellen. Wie kann ich lernen mich wieder zu entspannen, los zu lassen, abzuschalten? Was benötige ich dazu?
In einem weiteren Schritt ist es wichtig festzustellen wie im Alltag Entlastung erreicht werden kann. Welche Ressourcen bestehen oder sind aktivierbar, um mich aktuell zu entlasten? Wo kann ich mich hinwenden, um Unterstützung zu erhalten? Neben der Entlastung ist es entscheidend wieder zu einer Struktur zurück zu finden. Was ist dringend und wichtig? Welche Angelegenheiten sind jetzt nicht dringend und wichtig?
Darüber hinaus braucht es manchmal zusätzliche Hilfestellungen, wie z.B. ärztliche Unterstützung, wenn die psychische Beeinträchtigung zu stark geworden ist, oder Hilfe durch spezialisierte Beratungsstellen. Bei Hotlines und Angeboten der Krisenintervention wird auch dabei geholfen, die richtigen Anlaufstellen zu finden.
Gespräche unterstützen dabei, wieder ein Gleichgewicht zwischen den Belastungen und den persönlichen Bewältigungsmöglichkeiten herzustellen. Es wird möglich Handlungsalternativen zu entdecken und die erlebte Hilflosigkeit zu überwinden.
Anlaufstellen:
Kriseninterventionszentrum Wien
www.kriseninterventionszentrum.at
Die Boje – Krisenintervention für Kinder und Jugendlich
www.die-boje.at
147 – Rat auf Draht
www.rataufdraht.at
Julia Peham
Klinische- und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) in Ausbildung unter Supervision
Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie, SOS Kinderdorf, Wien
und in der Gemeinschaftspraxis Therapiezentrum Wien Innere Mitte, 1030 Wien
https://www.tz-wieninneremitte.at/
Unterschied pubertäre Melancholie/echte Depression
Der Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenenalter wird von vielen sowohl hormonellen wie auch körperlichen Veränderungen begleitet. Neben den alterstypischen Entwicklungsaufgaben kommt es aber auch zu erhöhten gesellschaftlichen Anforderungen.
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