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Bildungswege abseits von Geschlechterstereotypen ermöglichen

von Mag.a Mag.a Dr.in Anita Thaler

Elternbildung
Elternbildung
Elternbildung

Wie entsteht Geschlechteridentität, woher kommen Geschlechterrollen und wovon werden diese beeinflusst? Wie können Kinder dabei unterstützt werden ihre Talente und Berufswünsche abseits von Rollenklischees zu entdecken und warum gibt es nach wie vor so große Unterschiede in den Bildungswegen von österreichischen Buben und Mädchen?
Es gibt keine einfache Antwort auf diese Fragen, aber es gibt sehr viele und gut dokumentierte Antworten auf verschiedensten Ebenen (Schule, Hochschule, Unternehmen; Analysen einzelner Länder, internationale Vergleichsstudien, z.B. PISA etc., siehe: OECD 2010; Thaler 2006; Thaler & Wächter 2009). Hier möchte ich nun aber psychologische und soziologische Erklärungen zu diesen Fragen aufgreifen (vgl. Nash & Grossi 2007, Thaler 2006), weil sie im unmittelbaren Einflussbereich von Erziehung und Elternbildung wirksam werden.
Ich lade Sie zu einem Gedankenexperiment ein: Sie sehen einen Ihnen unbekannten Menschen und beschreiben diesen in ein paar Worten. Welche Merkmale beschreiben Sie? Ordnen Sie die Person einem Geschlecht zu? Wenn ja, aufgrund welcher Merkmale? Können Sie diese Zuordnung über biologische Details zu Hormonstatus, Chromosomen, sekundären oder primären Geschlechtsmerkmalen ableiten? 
In den meisten Fällen werden Geschlechtszuordnung rein auf äußeren Merkmalen wie Kleidung, Haarlänge, Make-up, Gesichtsbehaarung, Körpersprache und Stimme vorgenommen und so Rückschlüsse auf sog. „erwartete Genitalien“ (Kessler und Mc Kenna 1978, S. 59) gezogen. Dabei gibt es Menschen mit hohen und tiefen Stimmen, kleine und große Menschen, Menschen mit langen oder kurzen Haaren (manche dieser äußeren Merkmale sind noch dazu modeabhängig und variieren auch in verschiedenen Kulturen) und diese unterschiedlichen Merkmalsausprägungen sind grundsätzlich jeweils in allen  Geschlechtern vorhanden. D.h. nicht jeder biologische Mann hat eine tiefe Stimme und kurze Haare und gar nicht wenige Menschen sind äußerlich nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen. Das äußere soziale Geschlecht ist also durchaus interpretierbar und formbar und deshalb wird davon gesprochen, dass soziales Geschlecht (Gender) „hergestellt“ wird. Das bedeutet jeder Mensch hat einen gewissen Spielraum sich geschlechterrollen-konform zu kleiden und zu bewegen oder aber auch sich bewusst dagegen aufzulehnen, Geschlechtergrenzen zu biegen oder Geschlechterrollen umzukehren („drag queens“, „drag kings“, „transgender“, „queer“; vgl. Halberstam 2005; Denken Sie an Conchita Wurst!) oder aber sich durch ein bewusst androgyn gewähltes Äußeres allzu schnellen Zuschreibungen zu entziehen. Andererseits passiert die Herstellung sozialen Geschlechts ständig auch aufseiten anderer Personen, die Geschlecht aufgrund gewisser Merkmale zuschreiben oder aber es möglicherweise auch aushalten das Geschlecht einer Person nicht gleich einzuordnen. Aufgrund dieser Prozesse kann man also nicht nur von Zuschreibung sondern sogar von Herstellung von Geschlecht sprechen (Thaler 2011).
Dass Geschlecht „hergestellt“ und nicht fix bzw. eindeutig an Eigenschaften gebunden ist, ist deshalb so wichtig, weil mit der Geschlechtszuordnung (vor allem das strenge Einteilen in „weiblich“ und „männlich“) auf anderen Ebenen weitreichende Konsequenzen einhergehen. Geschlecht funktioniert als Platzzuweiser und unser Verhalten ändert sich automatisch, wenn unser Gegenüber einem bestimmten Geschlecht zugeordnet wird. Auch wenn wir denken, dass wir Mädchen und Buben gleich behandeln, in zahlreichen Studien wurde das Gegenteil bewiesen. Zum Beispiel in einem Experiment, in dem Testpersonen in einer Spielsituation mit einem 3-Monate altem Baby (in einem gelben Strampler gekleidet) drei verschiedene Spielzeuge zur Auswahl hatten (amerikanischer Football, Puppe, Beißring). Der ersten Versuchsgruppe wurde das Baby als Mädchen deklariert, der zweiten als Bub und in der dritten Versuchsgruppe wurde das Geschlecht unklar gelassen. Die Ergebnisse (zit. nach Körner & Ihringer 2016) zeigten:

  • Wenn das Geschlecht unklar blieb, wurden alle Spielzeuge ungefähr gleich häufig angeboten, die Puppe am häufigsten.
  • Wenn das Baby als Bub identifiziert wurde, dann wurde signifikant häufiger der Football angeboten.
  • Wenn das Baby als Mädchen identifiziert wurde, dann wurde signifikant häufiger die Puppe angeboten.

Das bedeutet, wir verhalten uns, auch wenn wir das selbst von uns denken, nicht neutral. Sobald wir das Geschlecht eines Gegenübers wissen reagieren wir entsprechend geschlechterstereotyper Rollenvorstellungen und Erwartungen. Und so werden Mädchen und Buben im Laufe ihrer Kindheit gewisse Eigenschaften antrainiert und Geschlechtsunterschiede „anerzogen“.
Da die Chancengleichheit der Geschlechter in unserer Gesellschaft nach wie vor nicht auf allen Ebenen erreicht ist, ist dieses Anerziehen von Geschlechterunterschieden so bedeutsam. Geschlecht wird – manchmal explizit, sehr oft aber implizit – als Ordnungskategorie verwendet, auf deren Basis Ungerechtigkeiten argumentiert werden. Zum Beispiel auf die Forderung, die Technik muss beiden Geschlechtern offen stehen, folgt nun – da beide Geschlechter ja scheinbar gleichberechtigt sind – das oft strapazierte Argument, dass Mädchen und Frauen nur selbst etwas tun könnten oder müssten, um Karriere zu machen, dabei ist bekannt dass sowohl in Bildung als auch Beruf nach wie vor Ungleichheiten vorherrschen (vgl. Thaler 2006). Diese Ungleichheiten und auch der sog. ambivalente Sexismus beeinflussen junge Menschen auf ihren Bildungswegen und besonders in der Berufswelt nach wie vor sehr stark. Dieser ambivalente Sexismus ist nicht wie der offene Seximus eindeutig als negativ zu erkennen, weil er neben dem hostilen („feindlichen“) Element auch eine sog. benevolente („wohlmeinende“) Seite hat. So werden zum Beispiel die sozialen Kompetenzen von Technikerinnen beschworen, um im selben Atemzug auch zu betonen, dass Technikerinnen (!) dafür von Motorentechnik keine Ahnung hätten, ihnen also die technische Kompetenz fehlen würde (und das obwohl sie z.B. studierte Diplomingenieurinnen sind; das genannte Beispiel stammt aus Thaler 2006).
Für Erziehung und Elternbildung sind sozialpsychologische Phänomene wie „Stereotype Threat“ und Selbstwirksamkeitserwartungen sehr wichtig, weil sie Bildungsentscheidungen von Kindern und Jugendlichen sehr stark beeinflussen. Die Selbstwirksamkeitserwartung bringt zum Ausdruck, für wie wirkungsmächtig sich jemand selbst hält, d.h. konkret wie sicher ein Mensch fühlt eine bestimmte Aufgabe schaffen zu können. Hier konnte gezeigt werden, dass selbst ausprobieren der beste Weg ist, um sich selbstwirksam zu erleben. Da in unserer Gesellschaft jedoch nach wie vor eher Buben als Mädchen Konstruktionsspiele spielen, haben diese bei entsprechenden Tests auch mehr Selbstvertrauen in ihre technischen Fähigkeiten. Eine einfache Quintessenz wäre, uns in Spielzeugläden nicht davon leiten zu lassen, was Marketingabteilungen als Mädchen- oder Bubenspielzeug deklarieren, sondern Kindern unabhängig vom Geschlecht verschiedene Erfahrungen zu ermöglichen. Das bedeutet nicht, dass sie in einem Überfluss von Spielzeug leben sollen oder müssen. Im Gegenteil, Kinder, die mit einfachen Bauklötzen oder mit Materialien aus der Natur (z.B. im Waldkindergarten) kreativ werden, erleben vielfältigste positive Rückmeldungen auf ihre Selbstwirksamkeit.
Eine zweite sozialpsychologische Theorie, die geschlechterbezogene Leistungsunterschiede und unterschiedliche Bildungswege erklären kann, ist der sog. „Stereotype Threat“-Effekt. Warum schneiden weibliche Testpersonen, die erwiesenermaßen gute Mathematikfähigkeiten besitzen, in Testsituationen schlechter ab als männliche Testpersonen? Die Lösung heißt eben „Stereotype Threat“ (Bedrohung durch ein Stereotyp) und bedeutet, dass ein in der Gesellschaft vorhandenes Stereotyp über Leistungen einer sozialen Gruppe (wie z.B. dass Mädchen angeblich schlechter in Mathematik seien oder Buben schlechter lesen können) deren Leistungen in einer Stresssituation (z.B. Schularbeit oder Aufnahmetest) tatsächlich negativ beeinflusst (Quinn 2001; Quinn & Spencer 2001 ausführlicher erklärt in: Thaler 2006). D.h. nicht tatsächliche Leistungsunterschiede führen in so manchen Testsituationen zu Geschlechterunterschieden, sondern die Stereotype in unserer Gesellschaft. Viele Kompetenzunterschiede zwischen Mädchen und Buben sind also sehr oft „gemacht“.
Zusammengefasst kann gesagt werden, dass sich Menschen innerhalb einer Geschlechterkategorie (z.B. unter Mädchen) hinsichtlich psychologischer und intellektueller Merkmale prinzipiell viel stärker als zwischen den Geschlechtern unterscheiden. D.h. Kinder, die Hobbies und diesebezügliche Einstellungen teilen (z.B. Computer spielen) weisen mehr psychologische und soziale Ähnlichkeiten untereinander auf, als generell Buben oder Mädchen jeweils untereinander. Und so lautet auch eine Erkenntnis der Geschlechterforschung, dass etwaige psychologische und intellektuelle Unterschiede, die zwischen den Geschlechtern „beobachtet“ werden, keine Kausalbeziehung zum biologischen Geschlecht aufweisen, sondern in unterschiedlichen Sozialisations- und Erziehungsbedingungen begründet sind (vgl. Nash & Grossi 2007). Geschlechterunterschiede und damit auch unterschiedliche Bildungswege sind also nicht biologisch begründet, sondern werden durch Erziehung und Sozialisation verstärkt du manchmal sogar ausgelöst. Und deshalb können Kinder eher zu Bildungswegen abseits von Geschlechterstereotypen und Klischees ermutigt werden, indem wir viel reflektierter mit der Kategorie „Geschlecht“ als „Filter“ umgehen. Die Konsequenz daraus wäre, dass wir Entscheidungen (für Mode, Spielzeug, etc.) nicht aufgrund von Geschlechtszuweisungen treffen, sondern stattdessen jedes Kind in den Mittelpunkt stellen und helfen, innere Begabungen und Interessen abseits von Geschlechtererwartungen herauszufinden und zu verfolgen.

Weiterführende Literatur:Elternbildung

Halberstam, Judith (2005). In a queer time and place: transgender bodies, subcultural lives. New York: NYU Press.

Kessler, Suzanne & MacKenna, Wendy (1978). Gender. An Ethnomethodological Approach. New York: Wiley.

Körner, Hans-Dieter & Ihringer Susanne (2016). Selbstwirksamkeit beim Experimentieren – Mädchen und Jungen in den Naturwissenschaften. In: Marita Kampshoff & Claudia Wiepcke (Hrsg.). Vielfalt geschlechtergerechten Unterrichts. Berlin: epubli GmbH.

Nash, Alison & Grossi, Giordana (2007). Picking Barbie’s Brain: Inherent Sex Differences in Scientific Ability? In: Journal of Interdisciplinary Feminist Thought. Vol. 2 / 1, Article 5, 1-23.

OECD (2010). PISA 2009 Results: What Students Know and Can Do – Student Performance in Reading, Mathematics and Science (Volume I). In: http://browse.oecdbookshop.org/oecd/pdfs/free/9810071e.pdf [12.5.2011] 

Thaler Anita (2006): Berufsziel Technikerin? München-Wien: Profil Verlag.

Thaler, Anita & Wächter, Christine (Hg., 2009). Geschlechtergerechtigkeit in Technischen Hochschulen – Theoretische Implikationen und Erfahrungen aus Deutschland, Österreich und Schweiz. München, Wien: Profil Verlag. 

Thaler, Anita (2011). Hat Technik ein Geschlecht? In: Arno Bammé (Hg.) LIFE SCIENCES. Die Neukonstruktion des Menschen? München, Wien: Profil Verlag, S. 129-143. 

West, Candice & Zimmerman, Don H. (1987). Doing Gender. In: Gender & Society. 1 (2), 125-151.


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