1. Voraussetzungen für eine normale Sprachentwicklung
Die Sprachentwicklung ist ein Teil der Gesamtentwicklung des Menschen. Ein Kind verfügt nicht von Anfang an über „Sprache“. Sie entwickelt sich langsam und in einer bestimmten Abfolge – wie eine kleine Pflanze, die zum Baum heranwächst.
Die wichtigsten „Wurzeln“ des „Baumes“ gliedern sich in drei Bereiche:
Sensomotorische Entwicklung
Dazu gehören:
- die Entwicklung des Hörens
- die visuelle Wahrnehmungsfähigkeit
- die Ausbildung der Stimme durch das Schreien
- die Lallphase
- der Tastsinn
- die Entwicklung der Bewegungsfähigkeit und
- Motorik
Sozialemotionale Entwicklung
Ein Säugling, dem viel Liebe, Zuwendung, Aufmerksamkeit, etc. geschenkt wird, entwickelt eine positive Grundhaltung zur Umwelt und zu seinen Mitmenschen. Er wird Menschen vertrauen, wenn er sich in den ersten Lebensmonaten/Jahren emotional angenommen fühlt und Vertrauen und Geborgenheit erfahren hat. „Sprechen“ bedeutet immer, Beziehungen zu anderen Menschen eingehen zu können.
Geistige Entwicklung/Hirnreifung
Von Monat zu Monat reift das Gehirn des Säuglings und die geistigen Fähigkeiten entwickeln sich zusehends.
Erst wenn alle Fähigkeiten und Entwicklungsprozesse miteinander in Beziehung gesetzt werden können und das Kind die Sinnesbereiche mit seinen Bewegungsmöglichkeiten und seinem Denken verknüpfen kann (sensomotorische Integration), ist das Kind in der Lage, Sprache zu erwerben.
Die Bedeutung des „Stammes“ gliedert sich in zwei Bereiche:
Sprechfreude
Kinder sind neugierig und versuchen Worte und Laute nachzuahmen, ohne die Silben und Worte zu verstehen. Die Kommunikationsfähigkeit des Kindes entwickelt sich rasch, wenn sich die Eltern auf die kindlichen Versuche einlassen und unterstützen.
Sprachverständnis
Kinder verstehen früher Sprache, als selbst Sprache produzieren zu können. Das Sprachverständnis entwickelt sich beim Kind, indem es Neugier und Interesse an seiner Umwelt zeigt und indem sich seine Mitmenschen ihm zuwenden.
Die „Krone“ mit den Bereichen Wortschatz, Artikulation und Grammatik kann sich nur dann entwickeln, wenn grundlegende Fähigkeiten („Wurzeln“) ausgebildet und Sprachverständnis und Sprechfreude („Stamm“) vorhanden sind.
Der „Erdbereich“ der Wurzeln bedeutet Lebensumwelt, Kultur und Gesellschaft. Der Baum kann nur dann gedeihen, wenn genügend „Sonne“ (Wärme, Liebe, Akzeptanz), lebensnotwendiges „Wasser“ (Kommunikation) sowie „Nährstoffe“ (Sprachanregung) zur Verfügung stehen.
Jedes Kind hat seine eigene Individualität. Auch die Sprachentwicklung läuft von Kind zu Kind unterschiedlich ab. Der Sprachbaum verdeutlicht, dass Störungen des Sprechens und der Sprache („Krone“) nur dann behoben werden können, wenn andere Teile des Baumes („Stamm“, „Wurzeln“) gestärkt werden oder auf Umweltfaktoren („Wasser“, „Sonne“) verändernd eingewirkt wird.
2. Grobe Richtwerte:
Was ein Kind in seiner sprachlichen Entwicklung beherrschen müsste
(Folgende Aufzählungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit! Näheres ist nachzulesen bei „Siehe: Literatur – Tipp“/ Wendlandt)
Am Ende des ersten Lebensjahres sollte ein Kind folgende sprachliche Fähigkeiten besitzen:
- Lautgebilde nachahmen, gurren
- Silben plappern (z.B.: nana, baba, dada)
- mit seiner Stimme seine Stimmungslage ausdrücken
- Wortschatz umfasst zwei bis zehn Wörter
Anzeichen einer gestörten Sprachentwicklung:
- Kind hört mit Lautäußerungen auf
- Kind beschränkt sich auf immer wiederkehrende Laut, – Silbenfolge
Mögliche Ursache:
Hinweis auf eine Hörstörung
Am besten, Kinderarzt oder HNO Facharzt aufsuchen. Je später eine mögliche Hörstörung erkannt wird, desto gravierender sind die Folgen! Fachkundige Ärzte und Logopäden/Innen können bereits sehr früh (in den ersten Lebensmonaten) eine Hörstörung diagnostizieren und dann erfolgsversprechend behandeln.
Am Ende des zweiten Lebensjahres sollte ein Kind folgende sprachliche Fähigkeiten besitzen:
- Tierlaute nachahmen, einzelne Körperteile benennen
- Wörter mit den Konsonanten wie m, b, p, d, f, l n, t, w sprechen
- Konsonantenverbindungen wie bl, kr, fl, tr dürfen noch fehlen. Die Bildung von „sch“, „k“, und „r“ ist in diesem Alter noch nicht vorhanden.
- einige Bezugspersonen mit Namen ansprechen
- Zwei-Wortsätze verwenden
- Eigenschaftswörter wie „lieb“, „schön“, „heiß“ benutzen
- Wünsche sprachlich äußern
- Wortschatz umfasst zwischen 20 und 50 Wörter und viele unverständliche Silben
Anzeichen einer gestörten Sprachentwicklung:
- Kind versteht keine Aufforderungen
- Kind verwendet weniger als 10 sinnbezogene Wörter
Am Ende des dritten Lebensjahres sollte ein Kind folgende sprachliche Fähigkeiten besitzen:
- Verben benutzen, wie „essen“, „trinken“, „spielen“, „laufen“
- Anlautverbindungen wie „Pfl“, „Str“ und „Spr“ dürfen Probleme bereiten und „sch“, „ch“ und „s“ müssen noch nicht beherrscht werden
- Mehrwortsätze benutzen, die vom Satzbau noch fehlerhaft sein dürfen
- Erkennen, was im Bilderbuch passiert und das auch benennen
- Fürwörter wie „mein“, „dein“ und „ich“ und „du“ verwenden
- von sich selbst mit seinem Vornamen sprechen
- Artikel benutzen, Fragen stellen
- Selbstgespräche mit Puppen und Tieren führen
Anzeichen einer gestörten Sprachentwicklung:
- Lautbildung bei mehreren Lauten gestört (Dyslalie)
- stark gestörte Satzbildung, nur Zwei-Wortsätze (Dysgrammatismus)
Am Ende des vierten Lebensjahres sollte ein Kind folgende sprachliche Fähigkeiten besitzen:
- Präpositionen verwenden (oben, auf, unten)
- Farben benennen und zuordnen
- Deutliche Artikulationsschwächen sollten nicht mehr vorliegen („r“ richtig aussprechen), wobei aber eine Zischlautstörung (Sigmatismus) oder das Fehlen von „tr“ und „kr“ noch nicht therapeutisch behandelt werden muss.
- Mehrzahl und einfache Sätze richtig bilden
- Vergangenheitsform manchmal richtig einsetzen
Insgesamt sollte ein Kind seine Muttersprache nun weitgehend beherrschen. In dieser Zeit kommt es bei einigen Kindern zu einer Art „Stottern“. Der Grund dafür ist, dass sie die vorhandenen Gedanken nicht so schnell in geordnete Sprache umsetzen können. So kommt es zu einem lockeren Wiederholen von Wörtern, Silben und Satzteilen. Diese Sprechunflüssigkeit ist für diese Alter typisch und dauert nicht länger als ein halbes Jahr!
Am Ende des fünften Lebensjahres sollte ein Kind folgende sprachliche Fähigkeiten besitzen:
- alle Laute und Lautverbindungen richtig bilden (auch „s“ und „sch“)
- grammatisch richtig sprechen und Sätze korrekt bilden
- Vergangenheitsform verwenden
- Geschichten nacherzählen, telefonieren
- bis 10 zählen
Anzeichen einer gestörten Sprachentwicklung:
- sowohl Laut– und Satzbildung als auch Wortschatz und Sprachverständnis sind gravierend gestört (Sprachentwicklungsverzögerung)
Generell sollten sich Eltern rechtzeitig Rat und Unterstützung bei Fachleuten holen, damit es nicht zu einer ausgeprägten Sprachstörung kommen kann.
3. Kommunikationsfördernde Maßnahmen bei sprachgestörten Kindern
- Hören Sie ihrem Kind aufmerksam zu.
- Schauen Sie ihr Kind an, wenn Sie mit ihm sprechen oder wenn es Ihnen etwas sagen möchte.
- Seien Sie Sprachvorbild und führen Sie „Selbstgespräche“.
- Beschreiben Sie die Handlungen und Gefühle Ihres Kindes.
- Nehmen Sie auch die Äußerungen mit Sprachstörungen unbefangen an.
- Wiederholen Sie selbst korrekt, was Ihr Kind nicht richtig gesagt hat.
- Fördern Sie den Entdeckungsdrang Ihres Kindes.
4. Vermeiden Sie:
- kritisieren, bestrafen, korrigieren
- nachsprechen lassen
- Anweisungen zu geben, wie gesprochen werden sollte
- abfragen, unterbrechen
- in der „Babysprache“ zu reden
Eine Sprachstörung ist weder eine körperliche noch eine geistige Störung! Sprachauffällige Kinder sind genauso intelligent wie ihre gleichaltrigen Spielkameraden. Deshalb ist es wichtig, diese Kinder zu fördern, damit sie gut mit ihrem Sprechen vorankommen. Eltern sollten sich nicht scheuen, die Beratung von Fachleuten in Anspruch zu nehmen, denn eine Sprachstörung kann durch gezielte Anregung verändert werden.
Kommentare
Oscar
Bei Sprachstörungen im Kindesalter spielt die Früherkennung eine entscheidende Rolle. Die Entwicklung des Hörens und das Nachahmen von Lauten sind wichtige Indikatoren für eine normale Sprachentwicklung. Sollten hier Auffälligkeiten auftreten, ist es ratsam, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Jedoch muss betont werden, dass jedes Kind sein eigenes Tempo hat und leichte Verzögerungen nicht sofort Anlass zur Sorge sein müssen. Eltern sollten stets geduldig und unterstützend sein, um ihren Kindern den bestmöglichen Start ins Leben zu ermöglichen.