„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“
Schon der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889-1951) machte mit seinem Zitat deutlich, wie sehr unsere Sprache unser Denken und Handeln, unsere Gefühle und unser Lernen lenkt. Unsere Sprache ist der Schlüssel zur Welt. Ab dem ersten Schrei werden die Grundsteine einer optimalen Sprachentwicklung gelegt und wir als Eltern haben einen maßgeblichen Einfluss darauf, welche Sprachkompetenzen unsere Kinder entfalten. Auf die Frage, was unsere Kinder brauchen, damit sie der Sprache mächtig werden, bekommen wir oft eine Antwort wie: „Reden müsst ihr mit Euren Kindern!“ In Wahrheit ist es ein bisschen komplexer, denn Kinder brauchen Raum und Zeit und unzählige Gelegenheiten, sich sprachlich auszuprobieren. Jede Familie hat diesbezüglich andere Voraussetzungen und Möglichkeiten. Die Sprachpyramide, entwickelt vom Hilfswerk Österreich, zeigt in vier Bereichen auf, was Kinder für eine optimale Sprachentwicklung brauchen.
Abb.: Die Hilfswerk Sprachpyramide (2020)
Ebene 1: Die Basis
Die Basis beschreibt all die täglichen Rahmenbedingungen, Routinen und familiären Grundhaltungen, die für Kinder beim Erlernen der Sprache anregend und unterstützend wirken: Kinder, die sich geborgen, beschützt und sicher fühlen, beginnen ihre Umgebung spielerisch zu entdecken. Als Eltern sind Sie dabei die wichtigsten Vorbilder und geben auch vor, welchen räumlichen und zeitlichen Rahmen Sprache in der Familie erhält und welche Bedeutung ihr beigemessen wird. Eine sprachanregende Atmosphäre zeichnet sich durch einen respektvollen und liebevollen Umgang aus. Dazu gehören vor allem das aufmerksame Zuhören und Aussprechen lassen, denn so lernt Ihr Kind, dass seine Äußerungen wertvoll und wichtig sind. Durch das Kommentieren Ihrer eigenen Alltagshandlungen oder durch diverse Rituale (z.B. kurze Sprüche zum gemeinsamen Essen, Lieder in Spielsituationen usw.) erlebt Ihr Kind vielfältige Anlässe, um sich auch selbst sprachlich einzubringen.
Kinder machen beim Sprechenlernen entwicklungsbedingt immer wieder Fehler. Umso wichtiger ist es, die fehlerhaften Aussagen aufzugreifen und in förderlicher Weise richtig zu stellen – z.B. wenn Ihnen Ihr Kind mitteilt, dass die Blumen „gegießt“ wurden, korrigieren Sie dies am besten, indem Sie den Satz einfach nur korrekt wiederholen: „Ja, wir haben die Blumen gegossen.“
Mit Ihnen als ihren wichtigsten Bezugspersonen lernen Kinder nicht nur Wörter und deren Bedeutung kennen, sie lernen auch intuitiv, wie Sätze aufgebaut sind und welche grammatikalischen Regeln in unserer Sprache herrschen. So erleben und erlernen Kinder im täglichen Austausch Sprache in all ihren Dimensionen.
Ebene 2: Bewegung und Rhythmik
Springen, singen, klatschen, hüpfen, rennen… all dies macht Kindern Spaß und fördert gleichzeitig die sprachliche Entwicklung auf spielerische Weise. Besonders leicht gelingt dies, wenn rhythmische Wiederholungen integriert sind, wie dies bei Fingerspielen, Kinderliedern, Reimen oder Hüpfspielen der Fall ist. So sind auch viele Bewegungsspiele mit Reimen verbunden. Besonders bei Kinderliedern werden die Betonung und Rhythmik etwas übertrieben, so dass die (neuen) Wörter, der Satzbau und die Grammatik für Kinder leichter einprägsam sind. Das gemeinsame Lesen von Kinderbüchern erweitert u.a. den Sprachschatz der Kinder. Dabei sollten Kinder jederzeit die Geschichte unterbrechen dürfen, um Fragen zu stellen, der Geschichte ein neues Detail hinzuzufügen oder einfach nur zu kommentieren. Auch Sie können dies einmal ausprobieren und die Handlung anders enden lassen. So regen Sie den gemeinsamen Austausch über die Geschichte an.
Egal, ob bei Bewegungsspielen, beim Lesen oder Singen: Kinder lieben es, unermüdlich Neues bzw. Interessantes zu wiederholen. Diese Wiederholungen festigen die im Gehirn entstehenden Verknüpfungen zwischen den Neuronen und damit das neu Erlernte. Erst wenn das Kind von selbst eine Sache, eine Geschichte usw. nicht mehr wiederholen möchte, ist es für Neues aufnahmebereit.
Anregungen:
Kribbel krabbel Mäuschen. Kinderreime für junge Eltern (ISBN: 978-3815734339)
Bakabu – Kinderlieder zum Singen, Tanzen und zur sprachlichen Frühförderung (ab 2 Jahre, www.bakabu.at)
Ebene 3: Rollen- und Gesellschaftsspiele
Bei Rollen- und Gesellschaftsspielen ist die Sprache nicht wegzudenken. Kinder können hier nicht nur ihre eigenen sprachlichen Fertigkeiten ausbauen und verfeinern, sondern erhalten auch Einblicke in die Denkweisen und Gefühlswelten von anderen und lernen spielerisch, Gefühle in Worten auszudrücken. Bei Rollenspielen können sie auch ihre Wortgewandtheit ausprobieren, denn Kinder passen unaufgefordert ihre Sprache an die jeweiligen „Rollenerfordernisse“ an: So spricht der Ritter eher mit mächtigen, starken und mutigen Worten und die Prinzessin erscheint meist redegewandt und witzig.
Besonders in Rollenspielen leben Kinder auch ihre Fantasie aus und experimentieren dabei mit der Sprache. Sie kombinieren ihnen bekannte Wörter zu neuen, lustigen Sätzen oder erfinden Wörter, die es gar nicht gibt. Dies trainiert das kindliche Sprachgefühl sowie das Verständnis für Wort- und Satzstruktur und den grammatikalischen Aufbau unserer Sprache.
Bei Gesellschafts- und Brettspielen, wie zum Beispiel Mensch ärgere dich nicht, lernen Kinder, dass die Absichten der anderen Personen den eigenen Zielen im Weg stehen können, denn jeder möchte das Spiel gewinnen. Dies erzeugt bei Kindern auf der einen Seite eine hohe Motivation, ist aber auf der anderen Seite auch mit starken Gefühlen verbunden, insbesondere wenn die eigene Absicht, zu gewinnen nicht umgesetzt werden konnte. Solche Spiele bieten für Sie als Bezugsperson die Gelegenheit, mit Ihrem Kind über Gefühle und Gefühlsäußerungen zu sprechen. Mit offenen Fragen, zum Beispiel „Wie fühlst du dich / Wie glaubst du, fühlt sich dein jüngerer Bruder…?“, „Warum bist du / ist … traurig, wütend, usw.?“, oder „Würde dich das auch traurig, wütend, usw. machen?“, lernen Kinder, ihre eigenen Gefühle einzuordnen und sich in ihr Gegenüber hineinzuversetzen.
So können Kinder die Perspektive von anderen einnehmen lernen und damit ihre sozialen Kompetenzen, wie das Einfühlungsvermögen und den fairen Umgang, stärken.
Spieltipp:
Memory mal anders: Ein Mitspieler deckt eine Memory-Karte auf und beginnt eine kleine Geschichte zu erzählen. Der nächste Mitspieler fügt anhand seiner aufgedeckten Memorykarte ein Detail dieser Geschichte dazu. Der Fantasie sind hier für spannende, lustige oder abenteuerliche Geschichten keine Grenzen gesetzt!
Ebene 4: Digitale Medien
Digitale Medien sind in der heutigen Zeit aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Doch was bedeutet dies für junge Kinder? Was für uns Erwachsene alltäglich ist, nehmen Kinder ebenso als normal wahr. Dementsprechend wirkt sich der Medienkonsum der Eltern und älteren Geschwister auch direkt auf das jüngere Kind und sein Verlangen nach Mediengebrauch und -konsum aus. Die Begleitung der Eltern beim Erkunden digitaler Medien ist daher unabdingbar: durch den direkten Austausch, das gemeinsame Gespräch können die Eindrücke des Kindes gemeinsam bearbeitet werden und die Eltern spüren, wann es dem Kind zu viel wird. Interaktive Apps (z.B. „Aschenputtel – ein interaktives Märchen“), die mit elterlicher Begleitung ein gemeinsames Entdecken, Nachdenken und Hinterfragen anregen, können durchaus für eine begrenzte Zeit am Tag genutzt werden. Auf diesem Wege erwerben die Kinder eine kritische Mediennutzung und lernen auch, woran sie selbst erkennen können, wann eine Pause notwendig ist.
Digitale Medien sprechen nur zwei Sinne an: Hören und Sehen. Daher ist es förderlich, wenn digital konsumierte Inhalte (Märchen, Geschichten, Spiele usw.) im Nachhinein unter Einbezug weiterer Sinneskanäle (z.B. Bewegung) aktiv be- bzw. verarbeitet werden. So können Sie Ihr Kind anregen, das am Tablet Gesehene und Gehörte (mit Ihnen) nachzuspielen oder in ein selbst ausgedachtes Lied zu „verpacken“ oder eine bzw. ein paar Szenen zu malen, zu zeichnen u.s.w.
In den letzten Jahren wurden unzählige Sprach-Apps, über die bereits Kleinkinder Fremdsprachen erlernen können, auf den Markt gebracht. Diese Apps können Kinder spielerisch an neue Sprachen heranführen, tun dies aber nur einseitig. Denn: Kinder erlernen eine Sprache mit all ihren Facetten am besten im direkten Austausch mit fremdsprachigen Personen, idealerweise in ihrem nahen Bezugsfeld (Familie, Kindergruppe, Kindergarten, Spielgruppe u.ä.).
Weiterführende Informationen zum allgemeinen Umgang mit digitalen Medien
„Kleinkinder und digitale Medien – Tipps für Eltern“: www.saferinternet.at/news-detail/kleinkinder-und-digitale-medien-tipps-fuer-eltern
Mehr Informationen rund um den kindlichen Spracherwerb: Der Ratgeber „Sprechen macht schlauer!“ wird gemeinsam mit dem bewährten Kinderbetreuungskompass bei der beliebten Roadshow HILFSWERK ON TOUR (siehe www.hilfswerk.at) verteilt, ist aber auch unter 0800 800 820 oder office@hilfswerk.at kostenlos erhältlich. Gerne können Sie den Ratgeber und weitere interessante Informationen auch auf unserem Webportal www.hilfswerk.at/sprechen-macht-schlauer abrufen.
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