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Alles ist Familie – Familie ist alles!? – Wie uns unsere biografischen Erfahrungen prägen

von Erika Ramsauer, MTD

Elternbildung
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Biografiearbeit, was ist das denn? Das höre ich ganz oft, wenn ich Menschen erzähle, worin einer meiner Arbeitsschwerpunkte liegt. Viele meinen, Biografiearbeit ist das Schreiben der eigenen Biografie. Ja, das ist es AUCH. Der Lebenslauf sind die Zahlen, Daten, Fakten im Laufe eines Lebens, die Biografie sind die näheren Umstände und die damit einhergehenden Gefühle. Z.B. Matura im Jahr 1983 – das ist der Lebenslauf. Wie lief der Tag ab? Wie aufgeregt war ich?, etc. – das ist die Biografie. Hubert Klingenberger (mein Kollege in der Biografiearbeit, mit dem ich die Bücher „Biografiearbeit für Paare“ und „Biografiearbeit als Schatzsuche“ schrieb) bezeichnet die Biografie als „Das Fleisch am Gerippe“.

Biografiearbeit ist die „Arbeit“ am eigenen Leben im Sinne von Betrachtung des eigenen Lebens mittels verschiedener lustvoller Methoden zur Selbstreflexion.  Dies geschieht sehr ressourcenorientiert, also immer mit dem Blick auf die gewonnenen Stärken. Genau das ist der Punkt, warum ich Biografiearbeit so liebe. Selbstverständlich gibt es den Blick auf die unangenehmen Seiten des Lebens, die vielleicht schmerzen, aber im Endeffekt wird herausgefiltert, was wir daraus gelernt haben. Wir alle haben unser Leben bisher zumindest einigermaßen gut gemeistert, sonst stünden wir nicht hier. Da gab es viel Schönes, viele Sternstunden, aber auch Vieles, das wir ausgehalten und ertragen haben, was auch wieder eine Stärke darstellt. Wie oft lernen wir gerade aus kniffligen Situationen am meisten. Ganz im Sinne von „Scheitern gehört dazu, aber wir lernen aus den Fehlern“. Für Kinder ist es wiederum wichtig, dass sie sehen: Ja, das wird vielleicht nicht einfach, aber wir gehen die Herausforderung an und werden das gemeinsam meistern.

Der Blick in drei Dimensionen (verstehbare Vergangenheit – lebenswerte Gegenwart – lohnenswerte Zukunft) ist für jedes Alter und für jede Lebenssituation geeignet und insbesondere auch für Familien. Kinder wollen wissen, wo sie herkommen. Kinder lieben Geschichten von früher, die ihnen z.B. ihre Großeltern erzählen, als der Papa oder die Mama noch klein waren. Wir alle lieben es, Fotos zu machen und schöne Momente festzuhalten oder wir sammeln z.B. Andenken. Ja, auch das ist Biografiearbeit pur. Dokumentation eines (Familien-)Lebens.

Es gibt ein paar Punkte, die für Biografiearbeit wichtig sind und die ich hier anführen und erklären möchte:

  • Biografiearbeit ist ressourcenorientiert:
    Gelungenes benennen, loben, Stärken erkennen – gerade das ist auch für das Familienleben sehr wichtig und ermutigend. Im Alltag wird oft nur gesehen und erwähnt, was nicht funktioniert oder nicht gut ist. Umso mehr können alle Familienmitglieder sich hier Gutes tun und sich gegenseitig erzählen, was sie am Anderen gut finden. Kinder erkennen somit, dass es ganz viele Dinge gibt, die sie können und dass z.B. allein die Art, wie sie sind, schon wohltuend auf die anderen Familienmitglieder wirkt.
  • Erinnerung ist Begegnung und braucht Raum und Zeit:
    Gerade dies ist heutzutage ein wichtiger Punkt. Persönliche Begegnungen, gemeinsames Erzählen, wie es früher war. Zuhören können wie Momo in Michael Endes Geschichte… sie konnte zuhören wie keine andere – mit voller Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Das sollten wir alle wieder lernen. Ganz bei unserem Gegenüber zu sein und damit Platz für einen echten Dialog zu schaffen – mit voller Achtsamkeit und Wertschätzung und voller Respekt.

Gemeinsam Erlebtes verbindet und sorgt für positive Erfahrungen.

  • Biografiearbeit ist sinn- und werteorientiert:
    Hier haben wir als Eltern auch die Möglichkeit, unsere Werte (das was uns im Leben wichtig und wertvoll ist) weiterzugegeben. Kinder ahmen uns nach, d.h. es ist wichtig, was wir ihnen vorleben. Wie oft ertappen wir uns auch selbst, dass wir Dinge tun oder sagen, die wir von unseren eigenen Eltern kennen. Gemeinsame Erlebnisse verbinden und schenken Sinnerlebnisse.

Biografiearbeit ist heute besonders wichtig geworden, weil es mehr Umbrüche und Aufbrüche gibt als früher bzw. weil auch die Familienformen vielfältiger geworden sind, denken wir nur an Patchwork-, Regenbogenfamilien (= homosexuelle Familien) oder Wohngruppen. Kinder haben jede Menge Übergänge zu meistern, wie beispielsweise den Eintritt in den Kindergarten oder in die Schule, Schulwechsel oder Umzüge, Geburt von Geschwisterkindern und ähnliches. Wir haben mehr Möglichkeiten im Leben und dabei hilft Biografiearbeit. Sie hilft, dass wir uns unserer Einstellungen und Standpunkte klarer werden und dass Freude, aber auch Schmerz und Trauer ins Leben integriert werden kann. Dass wir erkennen, was wir können und was wir wollen und dass wir mit diesem Wissen Ziele für die Zukunft ins Auge fassen können. Dabei ist es wichtig, dass diese Ziele auch erreichbar sind. Gerade für Kinder ist es sehr wichtig, „Teilzielchen“ am Weg zum eigentlichen Ziel zu setzen und bei Erreichung dieser, die Erfolge gemeinsam zu feiern. Klarheit über wichtige Familienerlebnisse und -ereignisse bzw. über die Familiengeschichte ermöglicht eine Stärkung der jungen Menschen. Dies ist auch insbesondere für Pflege- oder Adoptivkinder bzw. Scheidungskinder oder Kinder mit Migrationshintergrund wichtig, denn dadurch wird die eigene Identität und das Selbstbewusstsein gefestigt.

Nun möchte ich Ihnen gerne noch drei Übungen vorschlagen, die Biografiearbeit in ihren drei Dimensionen gut darstellen:

1.) Vergangenheit:

Wir konzentrieren uns oftmals auf die Schwächen, für die wir unsere Familie gerne verantwortlich machen. Schauen wir doch heute einmal auf all die guten Dinge, die wir von unserer Familie bekommen haben.

  • Was gehörte für meine Mutter zu einem guten und sinnvollen Leben?
  • Was verstand mein Vater unter einem guten Leben?
  • Was habe ich von meiner Mutter/meinem Vater über Liebe gelernt?
  • Was von all dem ist heute für mich wichtig und hilfreich?

2.) Gegenwart:

Biografiearbeit ist auch eine Form von Ermutigung. Hier können wir uns z.B. überlegen, wer in unserem Leben ein/-e zugenannte/-r Mutmacher*in für uns war und ist, wie diese Person aussieht, warum sie für uns diese Wirkung hat, und was uns verbindet. Wir alle brauchen Menschen, die hinter uns stehen und uns stärken. Eine schöne Weiterführung dieser Übung wäre z.B., dieser Person einen Brief zu schreiben und sich zu bedanken.

3.) Zukunft:

Gute Beziehungen sind die Basis für unser Glück und unsere persönliche Entwicklung.

Was möchten wir z.B. im kommenden Jahr oder Monat zusammen erleben?

Was würde mir fehlen, wenn ich es nicht mehr hätte?
Was kann mich in Zukunft zum Lächeln bringen?

Wer oder was ist mir wertvoll und wie können wir uns in der Familie gegenseitig Gutes tun?

 

Ich wünsche Ihnen viele schöne gemeinsame Erlebnisse in der Familie und viel Gelegenheit zum Austausch und zur gegenseitigen Bestärkung.

 

Buchtipps:

Klingenberger, Hubert & Ramsauer, Erika (2017). Biografiearbeit als Schatzsuche: Grundlagen und Methoden. Für Erwachsenenbildung und Beratung. München: Don Bosco.

Klingenberger, Hubert & Ramsauer, Erika (2016). Biografiearbeit mit Paaren. München: Don Bosco.

Lattschar, Birgit & Wiemann, Irmela (2011). Mädchen und Jungen entdecken ihre Geschichte (3. Aufl.). Weinheim: Juventa.

Lattschar, Birgit & Wiemann, Irmela (2019). Schwierige Lebensthemen für Kinder in leicht verständliche Worte fassen. Weinheim: Juventa.

Bilderbücher:

Hoffman, Mary & Asquith, Ros (2010): Du gehörst dazu: Das große Buch der Familien. Bad Orb: Sauerländer.

Maxeiner, Alexandra (2010): Alles Familie!. Das Kind der neuen Freundin vom Bruder von Papas früherer Frau und anderen Verwandten. Hamburg: Klett.

 


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