Gemütlich ist es in dem Besprechungsraum von alpha nova in Graz. Es ist der Raum, in dem regelmäßig die Gruppentreffen für Familien, die am HIPPY-Programm teilnehmen, stattfinden. Rosemary, Akben und Emine, drei Hausbesucherinnen dieses Programms zur frühen Bildungsförderung in Familien mit Migrationserfahrung haben sich nach einer Teamsitzung Zeit genommen und erzählen von ihren Erfahrungen. Die drei Frauen begleiten schon viele Jahre Familien aus den afrikanischen, türkischen und kurdischen Communities. Die einleitende Frage, wie sie HIPPY in ihrem Umfeld bekannt machen, erheitert die drei.
„Wenn man selbst HIPPY-Mama war, ist die Hemmschwelle geringer“
„Rosemary ist die, die alle kennen.“ Emine und Akben lächeln: „Wenn du mit Rosy durch Graz gehst und irgendwelche Leute aus Afrika uns entgegenkommen, dann kennen alle Rosemary.“ „Das liegt daran, dass ich immer alle anspreche“, erklärt diese. „ Egal ob in der Kirche am Sonntag, am Jakominiplatz: sobald ich eine Mama mit schwarzer Haut und Kindern im Vorschulalter sehe, spreche ich sie an.“ Die beiden anderen Hausbesucherinnen nicken und bestätigen, dass sie es in ihrer Community ganz gleich machen: „Egal ob bei einer Hochzeit oder Geburtstagsfeier, wir erzählen immer, was wir machen.“ Akben geht ins Detail und beschreibt, was sie sagt: „Hallo, ich sehe, dass du Kinder hast. Wir haben ein Projekt bei alpha nova. Es geht darum, Kinder auf die Schule vorzubereiten. Auch darum, dass die Mamas ihre Kinder anders kennenlernen. Was kann dein Kind gut, was kann es noch nicht. Wo kann ich es fördern. Deine Kinder werden viele neue deutsche Wörter kennenlernen.“ Emine erklärt weiter: „Ich nehme mich als Beispiel: Wie war es bei mir? Was habe ich gemacht? Das motiviert die Mütter eher. Wenn ich das selbst gemacht habe, dann glauben sie, dass es gut sein muss. Das ist der erste Punkt, bei dem sie noch eher ja zu HIPPY sagen. Es ist ein Vorteil, wenn man selber HIPPY Mama war. Die Hemmschwelle ist dann geringer.“
„Ich bin groß, das ist meine Aufgabe, ich kann das schon machen.“
„Und wenn die Familien sich dann für dieses Programm entscheiden, sind sie ganz überrascht, wie sich Kinder verändern: durch HIPPY werden die Kinder neugieriger und fragen mehr. Sie trauen sich mit Scheren zu schneiden und beginnen sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, als mit dem Handy oder dem Fernseher. Wenn sie Dinge, die sie mit ihrer Mama erarbeitet haben, draußen sehen und sagen: Ah, das kenn ich schon, das weiß ich!“ Die Frauen sind sich einig, dass die Kinder selbstbewusster werden. Rosemary ergänzt: „Und die Männer sind so stolz auf ihre Frauen. Ich kann das gar nicht genug betonen. Sie gehen arbeiten und erzählen, dass ihre Frauen mit den Kindern lernen und auf die Schule vorbereiten.“ „Die ganze Familie lernt, was es bedeutet in die Schule zu gehen. Es ist wie eine Übung für das, was auf sie zukommt: regelmäßig Aufgaben machen, einen Platz zu haben, wo Lernunterlagen sind. Viele Familien haben kein Buch zuhause. Nach einem Jahr bei HIPPY haben die Kinder neun Bücher. Das ist was Neues. Das Kind lernt, wie man mit Büchern umgeht.“ Akben ist ganz begeistert, wenn sie die Vorteile für die Familien aufzählt. Auch Emine und Rosemary bestätigen dies: „Die Mamas lernen selbst Deutsch und sind viel sicherer, wenn es darum geht, sich mit den Kindergärtnerinnen zu besprechen. Frauen trauen sich am Anfang nicht so recht. Sie glauben, dass sie es nicht können und auch nicht schaffen und fürchten sich. Sie sind von dem Material überfordert. Aber dann sagen wir: Fang an. Der Anfang ist für alle schwer. Und wenn sie drinnen sind, dann sehen sie, dass sie es können. Für Eltern ist das toll, dass sie sich dann nach zwei Jahren schon auskennen, und wissen, was sie zu tun haben. Mütter bekommen Selbstvertrauen. Die Kinder bekommen das Gefühl: Ich bin groß, das ist meine Aufgabe, ich kann das schon machen. Das sind meine Sachen. Sie zeigen das ihren Freunden ganz stolz: Das habe ich gemacht, das gehört mir. Sie lernen Ordnung halten und Dinge wegzuräumen. In vielen Familien werden erst, wenn sie mit HIPPY starten, Scheren besorgt, Klebestifte und Buntstifte für die Kinder gekauft.“
„Wir haben alle die fast gleichen Probleme: Kinder, Arbeit, Sprache.“
„Es gibt, obwohl wir zwei unterschiedliche Communities betreuen, erstaunlich viele Gemeinsamkeiten“, wechseln die drei Hausbesucherinnen das Thema. „Wir sehen das bei unseren Gruppentreffen“, erklärt Rosy. „Wir holen die Mütter raus aus ihrer Einsamkeit. Es gibt Mütter, die sprechen die ganze Woche fast kein Deutsch. Sie bleiben in ihrer Gemeinschaft, aber wenn sie zum Gruppentreffen kommen, sind da nigerianische, türkische Frauen, die miteinander Deutsch reden müssen. Sie lernen neue Wörter, wenn Sie zu uns kommen. Wir haben alle die fast gleichen Probleme …“ „Kinder, Arbeit, Sprache“, fallen ihr Akben und Emine gleichtzeitig ins Wort. „Genau!“ fährt Rosy fort. „Wir haben alle eine andere Kultur als hier in Österreich. Wir kommen hierher lernen eine neue Kultur kennen, und wir müssen uns alle integrieren.“
Emine erklärt anhand eines Beispiels, wie die Themen für die Treffen gefunden werden: „Auf die Frage, welche Bücher und Spielsachen für die Kinder besorgt werden sollen, schlagen wir vor in die Stadtbibliothek zu gehen. Dort können die Familien für einen Euro Bücher und Spiele ausleihen. Das erste Mal gehen wir mit, die Karte ausstellen lassen.“ Akben ergänzt: „Wir nehmen ihnen Angst, wo hinzugehen. Mütter haben oft keine Vorstellung, was sie erwartet und was sie gefragt werden, wenn sie zu diesen für sie unbekannten Orten gehen. Wenn sie mit uns mitgehen, dann sehen sie, wie es ist. Sie gehen dann viel leichter mit einer Freundin oder ihrer Familie noch mal hin.“ Rosemary ist bei aller Begeisterung für dieses Thema realistisch: „Es braucht auch Unterstützung von meiner Seite. ‚Du wirst profitieren, und du wirst viel lernen, komm mit.‘ Motivation brauchen die Mütter.“
„Die Mutter muss dabeibleiben, das ist wichtig.“
Akben greift das Thema Motivation auf: „Man merkt den Unterschied, wenn die Mutter motiviert ist, dann schafft sie dreimal mehr als andere. Wenn die Mutter das Kind vertröstet und nicht konsequent dran bleibt, dann verliert auch das Kind die Lust. Die Mutter muss dabeibleiben, das ist wichtig. Wir müssen die Mamas motivieren: Du machst das super, du machst das toll. Die Mutter braucht auch viel.“ Auf die Frage, was noch nicht besprochen worden ist, sagt Akben spontan: „Was unsere größten Erfolge waren!“ Und alle drei beginnen aufzuzählen: einige Mütter haben den Führerschein gemacht oder Deutschkurse werden besucht. Die Mütter trauen sich selbst am Telefon Termine auszumachen. Im Kindergarten bemerken die Kindergartenpädagoginnen, wie toll Kinder entwickelt sind. Es fällt ihnen auf, dass die Eltern die Kinder zuhause fördern und mit ihnen üben.
Leider ist unsere Zeit jetzt um. Rosemary hat einen Termin bei einer Beratungsstelle für psychosoziale und juristische Beratung und Betreuung von Migrantinnen, um das nächste Gruppentreffen zu organisieren. Emine fährt in einen Kindergarten. Eine Kindergartenpädagogin hat einen Kontakt zu einer türkischen Familie hergestellt, die an der Teilnahme am HIPPY-Programm interessiert ist. Emine wird der Mutter erklären, wie das Programm abläuft, während Akben sich auf den Weg zu einem Hausbesuch macht.
HIPPY ist ein international erfolgreiches, wissensbasiertes Programm zur frühen Bildungsförderung in Familien mit Migrationserfahrung. Es zielt darauf ab, die Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern frühzeitig und nachhaltig zu verbessern. HIPPY knüpft an die Ressourcen und Kompetenzen der beteiligten Eltern an, stärkt die Eltern-Kind-Beziehung, fördert die kognitiven, motorischen und sozialen Fähigkeiten der Kinder und fördert das Bildungsbewusstsein der Eltern. Somit werden Eltern befähigt, ihre Kinder selbst in deren Entwicklung zu fördern.
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